Morgenseiten vom 29.11.

Stichwort: Er hatte sich eine Füllfeder gekauft.

Und das kam so: Als langjähriger Liebhaber fast der gesamten Kollektion aus dem Hause Montblanc war er selbstverständlich einer eloquenten Feder, schwarz mit goldenen Ornamenten und neben seinem Hauptwerkzeug, ohne das er nie das Haus verließ, sprang ein dazu passender Kugelschreiber ein, wenn etwa die Tinte zur Neige gegangen war, oder er, was selten genug vorkam, seine Fülli versehentlich zu hause vergessen hatte. Dementsprechend trist gestaltete sich daher der Sinn des Daseins des ewigen Ersatzmannes, und so war es kein Wunder, dass nicht nur die Gedanken eines kaum beachteten Wegbegleiters vertrockneten, sondern auch die Tinte in seiner Patrone.
Wie durch Zauberhand kam im plötzlich das Schicksal zu Hilfe. Dem Besitzer war seine angebetete, treue ohne die er meinte, nicht leben zu können, noble Füllfeder abhanden gekommen. Futsch, unauffindbar, perdu.
Ihm war klar, dass ein Leben ohne seinen mont blanc auch keine Höhenflüge erlauben würde, sein literarisches und kommunikatives Dasein würde in den Tiefebenen der Einfallslosigkeit versanden. Die kurze Zeit der Trauer war bald verflogen, pragmatisch hielt statt dessen die Vernunft Einzug, und er beschloss, an ihrer statt, seinen ewigen Mann auf der Ersatzbank zu dessen langersehnten Einsatz zu bringen. Aber der konnte sich, wohl wegen seiner so lang andauernden Dürre, nicht einmal einen kläglichen Kratzer abringen, und was blieb, war ein stummes Flehen und der ungebrochene Wunsch, in Form einer frischen Mine wieder ins Leben, ins Zentrum seines Besitzers treten zu dürfen.
Gesagt getan. Dieser hatte, wild entschlossen, seinem Spleen endgültig den Laufpass zu geben und beschlossen, sich notfalls von seinem noblen Kugelschreiber zu verabschieden, sollte auch jener ihm einst die Treue aufkündigen. Der Flagship Store am Graben, respektive die charmante Verkäuferin empfing ihn freundlich und hilfsbereit, erfüllte professionell seinen Wunsch nach der neuen Mine und brachte auch einiges mehr in Erfahrung, was sie geschickt ummünzte. Spontan öffnete sie die Lade unter der Vitrine, zog ein wahrhaftes Pachtstück an Federschmiedekunst hervor, breitete das rote Samttuch vor seinen Augen auf der Vitrine aus und präsentierte es ihm. Sie war ein wenig kürzer als die Fabrikate, die er sonst aus Meisterhand kannte, was daran lag, dass man die Feder durch ein kurzes Drehen am anderen Ende des Schafts, dort wo sich die königsblaue Tintenpatrone befand, diskret versenken konnte.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Aber wie konnte er ihr nachgeben, war er doch beseelt von Vernunft, Pragmatismus und ebensolchen Vorsätzen, das Geplante in die Tat umzusetzen. Gefühlvoll nahm er mit ihr Kontakt auf, legte sie in seine rechte Hand, schrieb mit ihr seinen Namen auf ein Stück Papier, das ihm die Verkäuferin beflissen gebracht hatte und wusste: jetzt musste er eine Entscheidung treffen.

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