Monster AG

Heute wurden in der Schreibstunde Verben gesammelt: Aus diesen bestimmte, indem sie diese willkürlich aneinanderreihte, Silvia sozusagen den Plot einer Geschichte, die es galt, zu entwickeln: Es waren „singen, öffnen, erfahren, loslassen, durchschauen, angreifen“, welche in dieser Reihenfolge in die Geschichte eingebaut werden sollten.

Als sie ganz allein durch die Straßen der fremden Stadt irrte und sich große Angst ihrer bemächtigte, da begann sie in der Not laut zu singen. Es war ein Kinderlied, das ihr einst ihre Mutter vor dem zu Bett gehen immer vorgesungen hatte und auf diese Weise die Monster davon abhielt, durch die Geheimtüre in ihrem Kleiderschrank ihr Kinderzimmer zu betreten und dann während der Nacht ihr Unwesen trieben. Doch was geschah heute? Plötzlich öffnete sich die besagte Geheimtüre, heraus traten allerdings nicht die furchterregenden Monster, die gleich mit ihrem wilden Treiben eine weitere Horrornacht einleiteten, nein, heute erschien ein kleines Männchen, das ihr kaum bis zur Brust reichte. Das war schon sehr klein, denn man muss wissen, auch sie war nicht von allzu mächtiger Statur, woher denn auch, ein Mädchen von nicht einmal fünf Jahren?

„Wer bist du?“ fragte sie neugierig, „setz dich an mein Bett, und erzähle mir von dir,“ forderte sie das Männchen auf, „wo kommst du her? Warum kommst du durch die Geheimtüre, die doch sonst den Monstern vorbehalten ist? Erzähl, ich will mehr von dir erfahren,“ löcherte sie ihn weiter, hielt dabei fest seine Hand, als wollte sie sich damit versichern, dass, so lange sie das Männchen festhielt, sicher sein konnte vor den Monstern, die ansonsten wieder ihr Unwesen treiben würden. „Bleib hier in meinem Zimmer,“ flehte sie daher den kleinen Mann an, geh nicht weg, denn wenn ich dich jetzt loslasse, beginnt ihr Tanz aufs Neue, wie so oft.“

Und sie sang weiter, in der dunklen Straße der fremden Stadt. Und je länger sie sang, desto mehr schien sie das Geheimnis zu durchschauen, das sich hinter der Geheimtüre im Kleiderschrank verbarg und die ihr jede Nacht so große Angst bereitete: Wenn sie mit ihrer hellen Kinderstimme die Lieder, die wohl schon ihrer Mutter Zuversicht gegeben hatten und die sie nun an sie weitergereicht hatte, mit demselben Mut erklingen ließ, dann tauchte, statt der bösen Monster der kleine, zierliche Mann durch die Türe auf, setzte sich auf ihre Bettkante und erzählte wunderschöne Geschichten, bei denen die dunkle Nacht wie im Flug verging und sie, als es draußen schon hell wurde, frisch und gestärkt erwachte. Daran erinnerte sie sich, und sang weiter, war frohen Mutes und voll Zuversicht, denn sie wusste jetzt: Mich kann keiner angreifen.

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