Komposita: Taschenkerze

Als Prototyp verstehen wir im technischen Zusammenhang die erste Umsetzung einer mehr oder weniger genialen Idee. Denken wir etwa an das legendäre „Mailüfterl“ aus den frühen 50er Jahren, als es Mathematikern, Physikern, Elektrikern und nicht zuletzt Innenarchitekten gelungen war, einfache Rechenvorgänge erstmals einer Maschine zu überlassen. Kabel, Röhren, Schalter, viel Strom, große, klimatisierte Räume waren vonnöten, um der Windstille doch immerhin das Lüfterl einzuhauchen, die simple mathematische Aufgabe anzuvertrauen, den monetären Wert der Einkaufsliste auszurechnen, die deren Kinder im Kopf bewerkstelligt hätten, um genug Geld von der Frau Mama mitzubekommen, um beim Greißler nicht anschreiben zu müssen.
Der Rest ist bekannter Weise Geschichte: Wäre die Entwicklung der Automobilindustrie im selben Maße vorangeschritten wie die Computertechnologie, wäre Carl Benz’ Erfindung seines Automobils, das er seinerzeit auf den Namen Mercedes getauft hatte, wohl heute in Lichtgeschwindigkeit unterwegs, nur wenige Menschen würden sich vorstellen können, was sich hinter dem Wunderding verbirgt und es würde ob seiner Kompaktheit auch kein Mensch Platz nehmen können in diesem Wunderding, wäre es doch auf auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft.
Das nennt man dann Industrialisierung.
Daran dachte wohl auch bereits im ausklingenden 17. Jahrhundert der Kerzenmacher und Freund des edlen Tropfens zu später Stunde, Sebastian Kandelaber, dem das Problem, innerlich illuminiert seinen Heimweg antreten zu müssen, aber schließlich doch ihn nicht ohne größere Blessuren vollenden konnte, lange Zeit zu schaffen machte. Und da es seinen nächtlichen Diskutanten in dieser Angelegenheit nicht besser erging, erfand er schließlich die Taschenkerze, die in jenen Jahren kurz davor stand, in die Geschichte neuzeitlicher Erleuchtungen einzugehen. Das handliche Format, welches in jede just zu dieser Zeit ebenfalls erfundene Hosentasche passen sollte, nutzte Sebastian Kandelaber den leicht entzündbaren gelben Phosphor für eine Zwecke und verband ihn geschickt mit seinen Miniaturen der durch ihn erfolgreich erzeugten Zimmerkerzen, die man von nun an bequem mit sich tragen konnte, auf dass sie ihm zu nächtlicher Stunde den Weg nach Hause weisen sollten.
Erwartungsvoll  blickte die zechfreudige Runde auf Sebastians Erfindung, als er sie ihnen stolz präsentierte und gaben ihr auch beziehungsvoll den Namen Xanthippe, eingedenk den Schmerzen, die ihr spätes Nachhausekommen allabendlich bescherte, denn auch der Nudelwalker erblickte in diesen Tagen das Licht der Welt. Wie von selbst entzündete sich das Wunderding, leuchtete durch Gaststube und wohl auch nach Hause, vorbei waren unverhoffte und schmerzhafte Begegnungen mit so mancher Hausmauer, Vergangenheit das nächtliche und vor allem überraschende Zusammentreffen mit des Weibes Vergeltungswaffe!
Die illustre Runde feierte die Innovation mit Wellen der Begeisterung, diese bestanden natürlich vom besten Wein, den der Keller des Wirtes auftischen konnte, und nach nicht enden wollendem Hallo verabschiedete sich die Runde zu sehr später Stunde, torkelnd, vertrauend auf die Taschenkerze, die ihnen den Weg nach Hause erleuchten sollte. Und die Erleuchtung folgte auf dem Fuß: Der gelbe Phosphor hatte anscheinend auf seine Stunde gewartet, entzündete sich, wie ihm geheißen, aber doch einen Augenblick zu früh, und die Taschenkerze wurde ihrem Ruf gerecht. Zum Licht in der Hose gesellten sich brennende Schmerzen, die Männer schrieen Feurio, erst ob des Brandes, später dann unter den Hieben der Nudelwalker ihrer Frauen, die das Lamento der ihren erst wahrnahmen und dann flugs zur Tat schritten.
Jahrhunderte später war es, wir erinnern uns, der bekennende Trinker Thomas Alva Edison, der dem schmerzvollen Heimkommen ein Ende bereiten sollte und die Taschenlampe erfand.

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