Das Weihnachtsmenü

Bereits im frühen Herbst machte sich Dagmar Gedanken zu unserem diesjährigen Weihnachtsmenü. „Was hältst du eigentlich von Hummer, so etwas hatten wir noch nie,“ fragte sie nur scheinbar, denn die Antwort hatte sie sich schon längst selbst gegeben und daher klang diese, wie gewohnt, nach einer Aufforderung zum Einverständnis und fishing for compliments, also Lob für die Idee zum bevorstehenden Lobsterabend.

Die Wochen und Monate vor dem großen Tag gestalteten sich unter anderem  dadurch, dass eifrig recherchiert wurde, wie man das Ungetüm zubereiten könne, welche Beilagen man dazu üblicherweise reichen mochte und wo, last but not least, man sie zweckmäßigerweise erwerben könnte. Lebend kam natürlich nicht in Frage, denn, abgesehen davon, dass sie natürlich keine Lust verspürte, die zum Tode Geweihten tagelang in der Badewanne zu beherbergen, befürchtete sie, so schien es, das lautstarke Wehklagen in den Augenblicken, wo sie ins heiße Wasser geworfen würden.
In der Zwischenzeit lösten sich aber diese Fragen, die Hummer würden post mortem zubereitet, eine Auswahl an raffinierten Saucen würde die essbaren Bestandteile des Festmahles adeln, bloß das Sättigungspotential der geschätzten 15 dag Fleisch pro Person und der finalen Zubereitung bescherte der Köchin letzte Zweifel. „Was machen wir, wenn das alles nicht funktioniert,“ grübelte sie dann tagelang, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Fischhändler unseres Vertrauens das kulinarische Abenteuer am Weihnachtsabend fortwährend bagatellisierte, was Dagmar, gemessen an der Größe ihres Vorhabens, schlicht zu einfach ging.
Daher sollte es als Vorspeise nahrhaftes Roastbeef geben, und auch mit der Nachspeise hatte man Kalorienreiches vor, auf dass der Zweck des Weihnachtsabends, mit rundem Bauch glücklich und mit Aussicht auf spannende Träume die bevorstehende Nachtruhe zue erwarten, erreicht werde.
Doch noch war es nicht soweit. Nach den Zweifeln, die Dagmar den ganzen Tag quälten und wovon sie ihre Umwelt auch oftmals und lautstark informierte, ging es schließlich ans Werk. Das Rindfleisch wurde selbstverständlich nicht weich, die ins Backrohr geschobenen Kartoffelchips weigerten sich, stanta pede knusprig und goldbraun zu werden, die Saucen gelangen auch nicht so wie geplant und außerdem, nächstes Jahr würde alles anders, wieder ganz traditionell. Im Grunde lief daher alles nach Plan, denn dieses Szenario gehörte ebenso zu einer langjährigen Tradition wie ihre Reaktion darauf, nachdem die beiden Männer diesem alten Brauch ein wohlwollendes Lächeln und aufmunternde Kommentare geschenkt hatten, laut zu deklamieren, dass man sie einst noch suchen würde, wie eine Stecknadel im Heuhafen suchen würde …
Doch jetzt wurde es wirklich ernst. Das Roastbeef war als erster Gang verspeist, das Fleisch natürlich hervorragend, die Kartoffeln knusprig wie gewünscht und auch eine Schalotten-Rotweinsauce ließ das Herz höher schlagen. Dazu passte wohl nichts besser als ein Glas Schampus, um den heiligen Moment des Genusses würdig zu adeln. Sodann machte sich die Weihnachtskarawane auf den Weg in die Küche, wo die drei Delinquenten auf ihren finalen Sinn im Leben warteten. Das Wasser brodelte im Topf,  alle fanden darin Platz, ihren Letzten Weg anzutreten. David dokumentierte das Geschehen akribisch auf einem Reportagevideo, und nach fünf Minuten des Garens sollte die Spannung schön langsam verflogen sein, wäre nicht das Problem mit dem Zerteilen der gepanzerten Ungetüme aufgetaucht. Bewaffnet mit einer Geflügelschere förderte man praktisch kein essbares Fleisch ans Tageslicht, vom Rest, dem Gedärm, dem Rücken- und dem Bauchpanzer trennte man sich angeekelt. David machte sich allerdings weiter ans Werk.  Um ihm dienlich zu sein, fand auch der Werkzeugkasten für kurze Zeit in der Küche seinen Platz. Mit Hilfe großer und kleiner Zangen, Stemmeisen, Schlagbohrer, Fluchen und gutem Zureden entlockte man den Verstorbenen dann doch eine kleine Menge an Köstlichkeiten, die hauptsächlich David mit großem Appetit verzehrte. Wir alle freuten uns sodann, auch dieses Abenteuer mann- und frauhaft gemeistert zu haben.
Mit einer Heißen Liebe beendeten wir beziehungsvoll die kulinarische Reise und schritten Hand in Hand zum Weihnachtsbaum, und alle freuten sich auf die Geschenke, welche das Christkind unter dem Baum versteckt hatte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.