Heinzi und Andrea fliegen nach New York

Andrea wurde 50. Wir, ihre Familie und Verwandtschaft erpuzzelten finanziell für sie und Heinzi eine Reise nach New York City, welche sie demnächst antreten werden …
Dagmar, Wolfgang und David leisteten dazu einen kleinen Beitrag, ein bisschen „On Broadway“ sozusagen. Als wenn wir nicht schon ausreichend Stadtneurotiker wären …

„50 Jahre musste ich werden, damit du in diesem Höllentempo beinahe am Flughafen vorbeifährst,“ deklamierte sie in Panik, als ihr Sohn zur Sicherheit, denn die Sicherheitskontrollen gestalteten sich ja immer strenger, in Richtung Schwechat düste, denn er wollte um jeden Preis vermeiden, dass sie den Abflug versäumten, freute er sich doch schon seit langem auf eine Woche heiliger Ruhe, und die wollte er unter keinen Umständen aufs Spiel setzten, dann schon lieber ein Strafmandat riskieren. So nahm er auch die Rampe zu den Abflug-Terminals volé, bremste geschickt ein Taxi, das soeben einen Parkplatz zu finden geglaubt hatte, aus und fertigte die beiden hurtig ab, damit es losgehen konnte ins ferne New York.

Für die beiden Oldtimer galt es nun, einen Trolly zu finden, damit sie ihr ohnehin, wie sie meinte, spärliches Gepäck nicht meilenweit zum Check-in und dann zum richtigen Gate schleppen mussten. In bewährter Manier, denn dafür war sie weithin bekannt, Unannehmlichkeiten des Alltags diskret aus dem Weg zu räumen und vor allem ihren beiden Männern das Leben auf diese Weise zu erleichtern, besorgte sie das Ding, bevor der Flughafenbus sie und die dutzenden anderen Passagiere zu dem Vogel brachte, der sie nun ans andere Ende des Atlantiks fliegen sollte, wo die beiden eine, sagen wir, zweite Hochzeitsreise, seit sie einander damals das Jawort gegeben hatten, in trauter Zweisamkeit verbringen würden. Ja, ja, das Leben war nicht immer leicht für sie gewesen, und auch Rapid musste so manchen Meistertitel an seine nicht schlafende Konkurrenz, meist die aus Salzburg, abgeben. Aber der gemeinsame Sohn stellte sich als echter Glücksfall heraus: kein Streber, dafür lässig-cooler Vorzeige-Schwiegersohn mit einem Hang zur Exotik, denn man sagte ihm nach, dass er jüngst als Austauschstudent einige Zeit im Senegal verbringen wollte.

Das „Fasten Seat Belts“ war inzwischen erloschen, das Futter spärlich, und zu trinken gab es gerade einmal ein kleines Mineralwasser. „Alles, was schmeckt, musst man hier extra bezahlen,“ beklagte sie sich und auch darüber, dass die große Flasche vorhin konfisziert wurde. „Es hätte ja Sprengstoff drinnen sein können,“ sprudelte sie erbost.
Wie um ihnen die Zeit zu verkürzen, brachten die Stewardessen die Einreiseformulare zum Ausfüllen, was sie in ihrer Kompetenz als Familiencheckerin prompt erledigte. Man konnte sich eben auf sie verlassen. Aber Snacks wurden keine gereicht, was ihm schon ein wenig bitter aufstieß, hätte er sich doch gerne auf eine Runde Erdnüsse à la Jimmy Carter eingelassen. Aber da legte sie, ganz umsichtige Wirtschafts- und Finanzministerin des Familienunternehmens, „Don‘t even think about it“, wie die Yankees sagen, ihr stummes Veto ein, hätten die salzigen Knabbereien doch weitreichende Folgen nach sich gezogen: ein weiteres Mineralwasser nämlich, um den Durst zu löschen, gegen Bezahlung selbstverständlich.
Die Landung ging ohne allzu mulmiges Brummeln im Magen vor sich, beklatscht wurde der Pilot auch nicht, „Wir kommen ja nicht aus Ibiza“, und die Schlange an der Pass- und Visumkontrolle war überschaubar.

War es noch Abend oder doch schon früher Morgen, vor Sonnenaufgang? „Egal, wir sind gerade in der Stadt, die niemals schläft, angekommen, und daher lass uns ein echtes amerikanisches Frühstück genießen,“ schlug er vor. Auch sie war damit einverstanden, und so fanden sie sich bald in einem Deli ein, bei Ham, Bacon, Cheese, Tomatoes, Scrambled Eggs, Orange Juice, Kaffee … Also nein, das war kein Kaffee, dieses G‘schloder, nein, „Sir, can I have a cup of tea instead of this …?“ Man einigte sich schließlich auf einen Espresso anstatt des zugegebenermaßen ungenießbaren Was-auch-immer. Er nahm es hin und träumte an dieser Stelle von ihren Back- und Kochkünsten und sehnte sich nicht zuletzt, weil er sogar auf die Knabbereien im Flugzeug hatte verzichten müssen, kurz nach Zuhause, die wohlschmeckenden Kuchen und Torten, ihre raffinierten Hauptspeisen und das zum Niederbrechen köstliche Tiramisu. Bei der Gelegenheit fielen ihm auch die doch einigen Kilos zu viel an und in seinem Körper ein und seine Gedanken wechselten schnell das Thema.
Nach dem kurzen Zwischenstopp ging’s dann jedenfalls ins Hotel, das ziemlich zentral gelegen war, gleich in der Nähe der 42. Straße, inklusive U-Bahnstation des A-Train, dem legendären Birdland in Sichtweite und Delis, Delis, Delis quasi um die Ecke, um nach oder während des umfangreichen touristischen Programms nicht vom Fleisch zu fallen.
Natürlich hatten sich die beiden eingehend auf ihre Tage im Big Apple vorbereitet. Zuerst wollten sie die musts besuchen, wie das Ober-must, die Freiheitsstatue, kombiniert mit Ellis Island. Der eingefleischte Beatles-Fan interessierte sich natürlich für das ewig traurige Denkmal Dakota Building nebst den Strawberry Fields im Central Park, ganz Marathon Man mit seiner Lady, letzterer auf der Liste der zu besuchenden Sensationen ebenfalls nicht fehlen durfte. Dank A-Train, den die beiden gerne in Anspruch nahmen, konnte man entlang dieser Linie fast überall in Manhattan hinkommen, und so standen die 5th und 6th Avenue mit ihren einladenden Geschäften ausgenommen ihrer Preise und den imposanten Wolkenkratzern ebenso auf dem Programm, wie ein schneller Hot Dog zwischendurch mit einem Coke, wenn schon, denn schon, bevor man sich ins Village wagte. Hier schlug ebenfalls das musikaffine Herz höher, denn immerhin konnten sie das, was er damals von den  Schallplatten kannte, in natura bewundern, etwa die Bleeker Street mit ihren einladenden Music Clubs, wo R’n’B, Rock-, Pop-, Folk- und Jazz-Seelen fröhliche Urständ‘ feierten und einander allabendlich zu neuem Leben erweckten.
„Die Woche wird mir echt zu kurz,“ seufzte sie, wenn sie, erschöpft von ihren Stadtrundgängen, im Hotel ankamen und sich die Füße massierten, die verständlicherweise nach solchen Tagen ziemlich schmerzten.

Plötzlich zückte er ein Kuvert: „Überraschung,“ rief er. Darin befand sich ein Gutschein für einen den Abend eröffnenden Begrüßungsgläschen Schampus und zwei Theaterkarten, die ihnen Dagmar, Wolfgang und David quasi blanko geschenkt hatten. Er aber hatte inzwischen dieses Rock’n’Roll Musical ausfindig geacht, für das sich die Kritik in diesen Tagen vor Begeisterung geradezu überschlug.
Zur Feier des Abends leisteten sich die beiden eines dieser Yellow Cabs, bekannt aus Film und TV, die in natura nur unwesentlich abgefuckter daherkamen, als man sie aus dem Kino kannte. Aber immerhin, eines von ihnen nahm sie wenigstens mit, und nun ging’s hinauf zum Broadway, dem Mekka für alle, denen die Bretter der Showbühnen die Welt bedeuten. Gar nicht weit vom Theater fand sich auch dieses heimelig anmutende Bistro. Kein Wunder, wurde es doch von einem charmanten Einwanderer aus Frankreich geführt, der den beiden sofort ansah, dass es sich wohl um zwei etwas überwutzelte Hochzeits-, Geburtstags- oder sonstige Reisende in langjähriger trauter Zweisamkeit handeln musste, so verliebt, aber doch so gut abgerichtet, wie er sie und die Welt um sich bei dem Glas Champagner anhimmelnd anschaute. Gemeinsam versanken sie eine lange Weile in dieser Welt, bevor sie sich wieder an ihre touristische Pflicht erinnerten und hinüberstapften zum Glamour, weswegen sie schließlich auch den langen Weg um die halbe Welt auf sich genommen hatten.

Der letzte Vorhang war noch nicht gefallen, der letzte Applaus kaum verklungen, als der Reisewecker die beiden daran erinnerte, dass der Flug nach Hause quasi schon auf sie wartete. Kurz rekapitulierten sie bei einem Continental Breakfast die vergangene Woche, fuhren mit dem Lift noch einmal das Empire State Building hoch und bewunderten die Skyline vom einstmals höchsten Gebäude der Welt aus, kitzelten auf Augenhöhe mit den Skyscrapers die Wolken im smogverhangenen Himmel, schnupperten in der Wall Street noch einmal die Luft des unverschämten Reichtums und wandten sich fast angeekelt ab vom Trump Tower, als dieser sich in ihrem Gedächtnis versuchte, vorzudrängen.
Nachdem beide ja alles umfassend fotografisch festgehalten hatten, freute sie sich auf eine mittlerweile langjährige mit Liebe gepflegte Leidenschaft von ihr, die vielen Eindrücke in einem neuen CeWe-Fotobuch für die Ewigkeit zu dokumentieren. So saß sie nun schon verträumt auf der Terrasse ihres Gartens am Hackenberg, gedankenverloren und mit ebenso prüfendem Blick auf die Flora. „Da gehört eine ganze Menge gemacht,“ dachte sie sachlich, holte im Geiste Rechen und Heckenschere hervor und begann, die inzwischen struppig wuchernden Pflanzen einer kosmetischen Korrektur zu unterziehen.

Man konnte über sie sagen, was man wollte, dass sie etwa eine verhaltensoriginelle Beifahrerin wäre oder eigene Vorstellungen vom Konsum des an Bord angebotenen Erfrischungssortiments hatte, aber in Haus, Garten, Hof, sicher auch dienstbeflissen im Büro und schließlich im Kreise ihrer Familie und Lieben war und blieb sie einfach die beste und somit unersetzlich für die nächsten 50 Jahre.

Punktum.

„Warum waren wir nicht auf Coney Island,“ fragte er hungrig, „dort soll man damals den Hot Dog erfunden haben. Darauf hätte ich jetzt Appetit.“ Was folgte, waren ein paar Erdnüsse und eine kleine, eine sehr kleine Flasche Mineralwasser, mit der sie so lange ihr Auslangen finden mussten, bis Julian, der die Familienkutsche nun brav im Parkhaus abgestellt hatte, sie freudig erwartend und mit einer großen Flasche Mineralwasser in der Hand abholte.

Alles Gute zum Geburtstag!

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