Blasenmusik

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Dagmar bezeichnet mich seit Jahrzehnten als die Familientussi, weil ich mir erlaube, mehr als ein Paar Schuhe im Regal zu haben. Gut mittlerweile hat sich zum Pflichtpaar die Kür gesellt, aber, was soll’s, man gönnt sich ja sonst nichts …
Letztens war es allerdings wieder soweit. Ich gebe zu, ich bin ein wenig der Marke Converse verfallen, und in der Annagasse war ich noch nie. Im Grunde suchte ich den Tempel nur aus dem Grund auf, um neue Schuhbänder zu erstehen, was mir auch gelungen ist, aber dazu gesellten sich dann doch ein Paar Exemplare, die schon lange das Objekt meiner Begierde darstellten.
Wie gesagt, man gönnt sich ja sonst nichts …

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Mit Michaela verbindet mich die Tradition des Lüftens. Seit zwei Jahren, sie arbeitet unweit des Wiener Büros des Alpenvereins, und ich hatte sie am Tag meiner Anmeldung bei demselben besucht und ihr von meiner neuen Errungenschaft der Alpenvereinskarte erzählt, was sie spontan (naja, zwei Wochen später) auf die Idee brachte, fortan wandernd durchs Leben zu schreiten. Das taten wir dann auch, was in den letzten Tagen darin mündete, zwar nicht alpin aber von Mödling in Richtung Baden das Steinfeld zu erobern.
Michaela ist eine Frau mit einem ausgeprägten Charakter. Was bedeuten soll, sie weiß (meist), was sie tut (oder vorhat zu tun), setzt ihre Vorhaben auch entsprechend um und verfügt, diese Vorzüge ergänzend, über einen ausgeprägten Sturschädel.
Um die Schnellbahn von Wien nach Mödling zu erreichen, trafen wir uns demnach am Hauptbahnhof, Bahnsteig 1, und gelangten auch sicher bis zum Ausgangspunkt zum Wandertag. Ausgestattet mit meinen neuen Sportschuhen, ungetragen, und ihren geländegängigen Flipflops setzten wir die Reise, die zum Aufwärmen für den ersten Naturgang der Saison gemütlich, „äußerst gemütlich“ (O-Ton Michaela), angelegt war, denn sie bestimmte (siehe oben) die Route, fort. Der Beethovenweg sollte es sein. Meine Einwürfe ein paar Tage davor, dass es sich bei der Strecke von Mödling nach Baden immerhin um gemütliche 26 km handle, verwarf sie, indem sie mir zu verstehen gab, das z.B. Gumpoldskirchen, Pfaffstätten u.dgl.m. auf dem Weg lägen und die man durch bloßes gemütliches Abbiegen von der erst einmal eingeschlagenen Route bequem erreichen könne. So beruhigt begann auch die Suche nach dem Einstieg in die pastorale Symphonie, entpuppte sich aber alsbald als schräges, steiles Furioso im Zuge der Suche nach dem Beginn unseres Fußmarsches. Anhöhen, von denen ich gerade in dieser Gegend nichts wusste, sie nicht einmal befürchten wollte, taten sich auf, aber nach doch einer Stunde der Suche nach Beethoven und seinen erwanderten Inspirationen schenkte sie wenigstens zwei Mountainbikern (so hoch waren wir schon?) ihr Vertrauen, die uns dann kurz den richtigen Weg wiesen. Das war auch gut so, denn obwohl wir gerade einen heißen Frühsommertag erleben durften, begann es gewittrig zu regnen, aber die Feiglhütte verschaffte uns eine kurze Rast und auch Schutz.
Dermaßen gestärkt setzten wir den nun richtigen Weg fort und gelangten an eine Weggabelung. Michaela entschied sich wider die Empfehlung des Wegweisers, und so endete der Beethovenweg nicht nur in einem kleinen, unwegsamen Weg, sondern schließlich in gar keinem. Das hatte zur Folge, dass der Abstieg aus den Höhen, die wir vorhin erklommen hatten, nun ziemlich abrupt vor sich zu gehen hatte und die geländegängigen Flipflops Michaelas und sie selbst vor doch ziemliche Herausforderungen gestellt wurden.
Gut ist es gegangen, nichts geschehen! Aber ein wenig Sorgen habe ich mir schon gemacht, nicht zuletzt auch um meine rechte Ferse, bei der sich ihr Beinkleid meldete … Wie auch immer, die Ebene des Steinfeldes war erreicht, die Weingärten, und wir spürten gleichsam, in Gumpoldskirchen oder Pfaffstätten bald einem Heurigen die Ehre erweisen zu können. Sogar Zivilisation war in Form von Gebäuden in der Ferne zu erkennen, und so setzte ich mich einmal an diesem Tag gegen eine andere Entscheidung durch, diese auch anzupeilen. So gelangten wir sozusagen über Stock und Stein schließlich nach Traiskirchen, nachdem wir Eingeborene aus der Gegend gefragt hatten, wo denn wir uns überhaupt befänden. So bahnten sich die nicht einmal des Beethovenwegs Entflohene ihren eigenen, hundemüde, den ihren zum Bahnhof der Badnerbahn, die uns dann wieder in die urbane Sicherheit brachte.

III.

Am nächsten Tag schmerzte sie. Die Blase an meiner rechten Ferse meldete sich und wollte mich an meiner Mobilität hindern. Was ich meiner Umwelt auch schmerzerfüllt mitteilte. Und diese reagierte gleich einer Woge des Mitgefühls, allen voran mein lieber Jean Génie, der ihr sogar ein Oevre an Anteilnahme widmete, eingedenk meiner täglichen, morgendlichen sportlichen Aktivitäten, die ich der Welt nicht vorenthalten möchte und die zu kommentieren nicht verabsäumt werden durften:

Heute pausiere ich, aber danke für den Tipp: kamillosan, die Wundertinktur für böse Füße.
Der Fisch beginnt vom Kopf zu stinken,
die alten Männer tuhen hinken.

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Es mag richtig sein, dass ein böser Fuß mir zur Zeit einiges Ungemach bereitet, aber das darf dem Großmeister volkstümlichen Wohlbefindens nicht daran hindern, schon im Frühtau, Berge zu erklimmen und den Niederungen des Daseins Frohsinn zu bereiten! So ist er gezwungen, schon frühmorgens seinen Ranzen zu packen, den bösen Fuß samt Blase in enges Schuhwerk zu packen und, wenn nötig (und das ließ sich in den vergangenen Tagen mangels Wanderkameraden ja nicht vermeiden) alleine sein Tagwerk zu fristen.
So mag an dieser sein Los richtig gestellt sein, und so fährt er fort, auf das kommende Morgentau zu hoffen, dass es ihm den erhofften Kameraden herbeischwemmt: Um acht Uhr am besten.

IV.

Blasenmusik: Bezeichnung für -> instrumentalisiertes Wehklagen ostösterreichischer Wandersmänner im Zuge persönlicher Erstbesteigungen ihnen bislang unbekannter Anhöhen. Meistens in Rudeln auftretend und notdürftig ausgerüstet mit selbstfabrizierten Blasenhörnern bringen sie die Schmerzentwicklung bei vorherigem Erklingen von motivierendem Liedgut diesen durch konzertiertes Blasen der Blasenhörner zu Ausdruck.

siehe auch -> Jodeln: Bezeichnung des Solo-Schmerzgesangs blasenversehener ostösterreichischer Flachlandalpinisten.

Veröffentlicht am 23.6.2015