Vom Bild ins Wort

Unter diesem Motto stand unlängst unsere wöchentliche Schreibstunde. Silvia, unsere Oberschreiberin sozusagen, fasste das in noch gescheitere Worte, nämlich „Transfer & subjektiv gestaltende Interpretation, Replik & Reaktion“. Auf deutsch: du schaust dir ein Bild an, lässt es auf dich wirken und schreibst dann, was dir dazu einfällt.
Wir durften uns Fernand Léger (1881-1955) und seinem Gemälde „Die Brücke“ widmen, und ich erinnerte mich dabei spontan an einen Wandertag mit Michaela, die Inkarnation der Missachtung von Wegweisern …

 

 

Ein fernes Dorf

Nach der langen Wanderung durch den dichten Wald, angenehm kühl zwar, aber sie hatte meine Beine ermüdet, gab die näher kommende Lichtung den Blick frei auf eine Hügellandschaft und offenbarte das Ziel meiner Reise. Noch wenige Schritte würden auf mich warten, die mich zu den Häusern des am Horizont auftauchenden Dorfes bringen sollten, dorthin, wo ein Krug Wein und eine sättigende Jause auf mich warteten.

Schade, das mich Michaela heute nicht begleiten wollte. Mit ihr macht das Wandern nicht zuletzt deshalb großen Spaß, denn zu zweit verfehlen wir immer den rechten Weg. Nein, nicht das, woran der Leser jetzt spontan denkt, als Inkarnation der Missachtung von Markierungen und Wegweisern reift jeder Nachmittagsspaziergang mit ihr zum gefährlichen Abenteuer. Über Stock und Stein geht es dann, hohe, scheinbar unüberwindliche Steilwände versperren den Weg, gefährliche Geröllhalden verlangen den beiden Wandersleuten nicht nur Mut, sondern auch eisernes Durchhaltevermögen ab. Aus dem Beethovengang im Süden Wiens wurde etwa letztens keine romantische, dafür aber eine Unheil verheißende Wolfsschlucht. Zaghaft vorgetragene Vorwürfe verwandelten sich in verzweifelten Zweckoptimismus. Bis dann endlich eine sanfte Lichtung nahende Rettung versprach, welche die beiden neue Hoffnung hegen ließ, bei Wein und Schmalzbrot im gemütlichen Heurigen Versöhnung  zu finden und Kraft, nicht mehr per pedes, aber dafür wohlbehütet in der Badner Bahn die letzte Etappe einer bisher so gefahrvollen Reise anzutreten.

Diese Erinnerungen begleiteten mich, als ich meine Schritte durch die sanfte Hügellandschaft lenkte. So gestattete mir die strenge Architektur des Malers in der Bildgestaltung in meinen Assoziationen spontan zu versinken. Es war das Spalier der Bäume, das Unterholz, die Tiere des Waldes, mich aus dem Dickicht beobachtend, die sich ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit drängten. Dann, als ich besagte Lichtung erreicht hatte, begrenzte die vielfältige, natürliche Geborgenheit die strenge, an Ordnung sichtlich gewöhnte Geometrie menschlichen Schaffens, welche das freie Feld doch bloß einrahmen konnte und ihr Platz lassen musste, sich in seiner Lebensfreude zu entfalten.
Vogelgesang, Bienensummen, der Duft des Sommers, die fernen Geräusche, beinahe reife Sommerfelder trugen mich wie Wellen in einem Meer, das es gut mit mir meinte, immer weiter, meinem Ziel entgegen. Sie verhießen moderne Zivilisation und gastfreundliche Aufnahme bei den friedlichen Einwohnern im nicht mehr gar so fernen Dorf.

2 Gedanken zu „Vom Bild ins Wort“

  1. Michaela, Inkarnation der Missachtung von Wegweisern, scheint mir eine unbedingt kennen zu lernende Person!
    Danke für abermaligen Morgen-Gruß der besonderen Art,
    herzlichst,
    Liz Rose

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