Susi und Wolfi

Sie hatten es kaum erwarten können. Die Frühlingssonne versank langsam hinter den Mauern der an den Garten angrenzenden Gründerzeithäuser, ihnen war es vergönnt, in dieser Großstadtoase zu wohnen, wo sie einander auch gefunden hatten … und sich in ihrer frühen Jugend ineinander verliebten. Das Grün mit seinen kreisförmig aufgestellten Bänken bot Platz zu ausgiebigem Plaudern am Nachmittag und wohl auch, um den neuesten Klatsch aus der Wohnhausanlage auszutauschen. Für die junge Generation stellte er ein Paradies dar, wo gespielt, getollt, heftig gestritten wurde, wieder Versöhnung einkehrte und schon einmal zwei ein Auge aufeinander werfen konnten. Susi und Wolfi zogen sich zumeist hinter einen der großzügig angelegten Sträucher zurück und genossen ihre Zweisamkeit, abgeschottet von den Rabauken, die ihr Fußballspiel mit lautstarken Zurufen und Kommentaren begleiteten.
„Schön, dass du noch gekommen bist,“ strahlte ihn Susi an, „ich habe dich schon vormittags in der Schule vermisst und so gehofft, dass wir uns später dann wieder hier treffen könnten.“ – „Ich bin schnell nach Hause gelaufen, habe das Mittagessen hinuntergeschlungen, meine Hausaufgaben rasch erledigt, und jetzt bin ich da. Ich habe dich auch vermisst,“ schwärmte Wolfi und rückte ein wenig näher zu ihr. Der dichte Strauch schützte sie vor neugierigen Blicken, die ihre traute Zweisamkeit aufschnappen hätten können. Beherzt ergriff sie seine Hand und bemerkte nicht, dass sein Herz bis zum Hals zu pochen begann, wie die Schmetterlinge in seinem Bauch aufwachten und dort mit ihrem wilden Tanz um seine wohlige Verwirrung begannen. Sprachlos blickte er sie an, sah ihr fest in die Augen und wagte es nicht, das zu tun, wonach ihm der Sinn stand. Das musste anscheinend wieder Susi übernehmen. Und weil es ihr genauso erging, an diesem späten Nachmittag, ergriff sie abermals die Initiative, wandte sich ihm vollends zu, und da war dieser Moment der ersten Berührung ihrer Lippen, der erste Kuss. Dieser erlöste sie von einer langen Spannung und plötzlich machte sich eine ungeahnte Leichtigkeit breit, die sie in den letzten Tagen, vor allem wenn sie einander nicht hatten, trotz des lustigen Treibens um sie gleichsam erdrückt hatte und wich dem Wunsch, einander fortan für immer nahe zu sein.
„Jetzt, wo wir eigentlich verlobt sind,“ kehrte Susi auf pragmatisches Terrain zurück, „müssen wir uns auch um unsere gemeinsame Zukunft Sorgen machen. Wir brauchen ein Haus, in dem wir leben können und auch Platz für unsere Kinder, einen Garten, so schön wie diesen, damit sie auch herumtollen und spielen können. Wir müssen Spielsachen besorgen, denn spielen wirst du mit ihnen, ich koche dann ja für uns alle.“ Gerne sah er sich als Familienvater, wie er mit seiner Liebsten durch ihr gemeinsames Leben gehen würde, sah sich, eng umschlungen mit ihr die Kinderschar beobachtend, wie sie glücklich schreiend um sie herumtollten. Seine Wonne breitete sich über den ganzen Körper aus, sogar dort, wo er es zuvor noch nie erlebt hatte. Er zog sie noch näher an sich, sie ließ ihn gerne gewähren, schmiegte sich in demselben Maße an seine Schultern und beide fühlten was sie noch gar nicht denken konnten.
Die Sonne war nun schon endgültig hinter den alten Häusern untergegangen, und so wurde auch das junge Glück aus ihrer Sinnlichkeit gerissen. Von oben erklang aus zwei strengen mütterlichen Kehlen: „Susi, Abendessen ist fertig, Wolfi, essen kommen!“

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