Spatzenpost aus St. Oswald

Zu Besuch bei Norbert Rier

Wer von uns träumt nicht davon, zu Gast bei dem Chef der Kastelruther Spatzen zu sein? Wir besuchten ihn in seinem Heimatort St. Oswald, gleich neben dem berühmten Kastelruth gelegen, und erwanderten uns mit ihm ein schönes Stück Südtirol.

Die Seiser Alm ist mit ihren 56 km2 die größte Hochalm Europas. Sie thront über dem Orten Seis am Schlern, St. Ulrich in Gröden und eben Kastelruth, wo wir vom Oberspatzen empfangen werden. Nach einer Kurzführung mit seinem entzückenden Ortskern beginnt der Ernst des Lebens, sprich: eine Wanderung zum Puntschakofel und weiter nach St. Oswald.

„Habt’s schon einmal Eislöcher im Sommer g’sehen?“ fragt uns Norbert auf dem Weg und lächelt, als ihn – wir schreiben immerhin Sommer, einen seeehr heißen Sommer 2015, wie wir uns erinnern – ungläubige Gesichter fragend anblicken. Wir folgen der uralten Straße, deren Vertiefungen in den Pflastersteinen wohl so einige Geschichten der Fuhrwerke erzählen könnten, wie sie unzählige Ladungen von Weinfässern und Getreidesäcken über den Puntschakofel nach Kastelruth gezogen hatten, bis sie schließlich von der Eisenbahn abgelöst wurden.
Plötzlich allerdings entdecken wir tatsächlich so ein Eisloch in Gestalt einer Felsspalte, aus der kalte Luft strömt und erhalten prompt die Erklärung vom Fachmann: „Das ist ein ganz seltenes Naturphänomen. Zwischen den Felsentrümmern in den Spalten ist ein Luftstrom vorhanden. Die warme Luft zirkuliert in den Gesteinsplatten, strömt als warme Luft hinein, wird abgekühlt und kommt als kalte Luft wieder heraus. So entsteht im unteren Bereich eine Temperatur von 0 bis 5 Grad. Dadurch ist es unter anderem auch möglich, dass hier, etwa am Madrunglfuchsboden, der von dieser Luft umströmt wird, Pflanzen schon auf 700 m gedeihen, die du ansonsten nur ab 1.200 m findest.“

Knapp zwei Stunden brauchen wir, um Norberts Heimat um engeren Sinn, St. Oswald, zu erreichen. Quasi als Vorort von Kastelruth beherbergt es zwar nur ca. 150 Einwohner, bietet dem Besucher, pro Kopf gerechnet, aber ein stattliches Quantum an Attraktionen.
Nachdem eine ausgiebige Wanderung vor allem hungrig macht, gilt es, einen eleganten Einkehrschwung (Ist der Begriff auch an einem heißen Sommertag zulässig?) vorzunehmen. Der gelingt uns beim Tschötscherhof, und wieder verfolgt uns quasi der Geschichtsunterricht. Denn im Tschötscherhof werden schon seit mehr als 500 Jahren Gäste bewirtet, genau seit 1494! So betreiben hier seit mehr als 20 Generationen die Bauern neben Viehzucht und viele Arten von Obstbau, das Kräutergartl durfte nicht fehlen, stellten sogar ihre Kleidung, heute wohl ein Teil der Landestracht, selbst her und beherbergten stets eine erkleckliche Anzahl von hilfreichen Händen.
Womit wir beim Thema wären. Denn auch in kulinarischer Hinsicht war der Tagesablauf am Hof streng geregelt. Das „Schwarzplentene Muas“ durfte auf keinem Mittagstisch fehlen. Was an das bodenständige, meist karge Leben erinnert, gilt heute als besondere Südtiroler Spezialität. Das aus Buchweizen hergestellte und süß schmeckende Mus wird in einer schweren Eisenpfanne gegart, bis sie am Boden eine knusprige Kruste bedeckt, wird in die Mitte des Esstisches gestellt, jede/r bekommt einen Löffel gereicht, und dann wird gemeinsam, nicht bevor jede/r in Form einer Furche, die er/sie zieht, sozusagen seinen Claim abgesteckt hat, die Energie spendende Köstlichkeit verzehrt. Für die ganz süßen Leckermäulchen wird dazu noch eine Holersulze gereicht.
Im Übrigen kann man diese geschichtsträchtigen Impressionen auch im hauseigenen Bauernmuseum begutachten, welches der Hausherr des Tschötscherhofes vor einigen Jahren in Eigeninitiative eingerichtet hat. „Von der Wiege bis zur Bahre“ kann man hier das Leben der St. Oswalder mitverfolgen, begleitet sie auf ihrem Alltag und wohl auch in ihrer Kunst, das Leben übers Jahr auch weitgehend autark zu organisieren.

„Wen sticht der Hafer?“ fragt auf einmal Norbert. Und das ist das Stichwort, auf das alle gewartet haben: Denn jetzt geht’s zum Fuschghof, zum Highlight des Tages. Hier lebt Norbert Rier seit vielen Jahren mit großer Leidenschaft und ebenso erfolgreich sein zweites Leben neben dem für die Kastelruther Spatzen, nämlich für seine Pferdezucht. „Seit damals, als ich während eines Besuches auf der Seiser Alm drei prächtige Haflingerfohlen gesehen hatte, war es um mich geschehen. Ich musste sie einfach kaufen,“ erinnert er sich, und das war auch der Beginn seiner Laufbahn als Pferdezüchter, die ihn seither mindestens ebenso erfüllt, wie der prall gefüllte Terminkalender als Spatzensänger. Das bestätigen auch seine Freunde, denn wenn man ihn strahlend erleben will, dann am besten während eines Konzerts – oder im Pferdestall seiner geliebten Haflinger. Hier erzählt er auch gerne über die Highlights seines Züchterlebens: „Einmal habe ich an einer Jubiläumsschau des Haflinger-Zuchtvereins Schlerngebiet teilgenommen, mit neun Stuten und drei Fohlen. Insgesamt nahmen 120 Pferde daran teil, und ich habe mit meinen Schützlingen gewonnen,“ erinnert er sich. Stolz, nicht überheblich, einfach mit viel Freude daran, dass sich ehrliche Mühe auch bezahlt macht.

Erschienen in der Stadlpost vom 9. September 2015