Remembering Toni

Gestern, das neue Jahr beginnt ja mit guten Vorsätzen, die natürlich auch umgesetzt werden wollen, kamen David und ich auf die Idee, es einmal mit Squash zu probieren. Für ihn würde es etwas ganz Neues darstellen, denn das hatte er noch nie ausprobiert. Ich war da schon viel erfahrener, denn spontan erinnerte ich mich an einen Abend im Jahr 1985, als ich mich mit  meinem damaligen Kollegen, dem Toni Spörk, in ein nahe gelegenes Fitness Center begab, um mich in dieser Sportart, sie verlangte dem Mann ja alles an Reserven ab, zu versuchen.

Wir erinnern uns: 1985, das ist mehr als 30 Jahre her, galt Squash als DER Trendsport für den erfolgreichen jungen, aufstrebenden Mann, die Yuppies erlebten ihre erste Hochblüte, die ersten PCs eroberten die Großraumbüros, und vor ihnen saßen die Ur-Nerds, die ihre Keyboards lässig auf ihren Schenkel platziert hatten, zumeist die Beine übereinander geschlagen und tun, was Nerds so zu tun pflegen, allerdings in Basic. Die großen Bankhäuser dieser Welt übten gerade die neue Gier der 80er Jahre, von der Wall Street bis zur Erste Bank, wo der Austrobulle Mike Lielacher sein Unwesen trieb.
Aber ich schweife ab. Denn Toni und ich dachten damals nicht daran, es den coolen Yuppies gleichzutun, unser Sinn stand eher nach einer Stunde schwitzen und anschließend bei einem oder mehreren Bieren im Stehbeisl in Mariahilf den Abend ausklingen zu lassen.
Er meinte, das Squash-Spielen sei keine Hexerei, wenn man ein bisschen Tennis oder wenigstens Tischtennis beherrschte, funktioniere das ganz von selbst. Mit den Kenntnissen beider Sportarten konnte ich aufwarten, Schläger und Ball konnte man sich im besagten Fitness Center ausborgen, einem freundschaftlichen Match unter Kollegen sollte demnach nichts im Weg stehen. Die Regeln zu verstehen waren auch nicht schwer, erlebte Squash ja seine Geburtsstunde in amerikanischen Gefängnissen, wo es bald zu einem viel gespielten Pausensport der einsitzenden Strafgefangenen avancierte.
Aufschlag gegen die gegenüberliegende Wand, der Ball kommt in Windeseile auf mich zu, ich versuche, ihn zu parieren, nun ist Toni dran. Er hat einen kraftvollen Schlag, daher muss ich mich beeilen, den Return noch zu ergattern. Ich sprinte ans andere Ende der Box, ergattere den Ball gerade noch, bringe ihn an die Wand, Toni ist darauf vorbereitet, gibt ihn mir wieder zurück, ich laufe in die Mitte der Box, geschafft. Nach ein paar Minuten zerreißt es mir die Lunge, aber ich gebe natürlich nicht klein bei, wo sind wir denn, der Schweiß fließt aus allen Poren, durchnässt zunehmend mein Dress, aber ich halte mannhaft durch, bis die Ewigkeit nach einer Stunde ihr Ende nimmt.
Unter der Dusche prickeln Heerscharen on Gauloises meinen Körper herab, die versammelten Endorphine haben sich meiner bemächtigt, und so freuen sich Herz und Seele auf ein kühles Blondes. Doch bereits auf dem Weg zum Stehbeisl übermannt mich die Vorhut auf das, was noch kommen sollte. Hundemüde bestellte ich nur ein kleines Bier, trank auch das nur halb aus und verabschiedete mich schon bald um nur eines noch aufzusuchen, wonach mir heute der Sinn stand. Mein Bett.
Am nächsten Morgen quälte mich ein bislang noch nie dagewesener Muskelkater, so dass ich es nur unter größten Schmerzen und unter Ausbringen aller meiner Restenergien bewerkstelligen konnte, meine Beine vom Fahrbahnrand über die Gehsteigkante zu heben.

Toni war mein erster Kollege in meinem ersten Beruf, der mehr war als nur ein Ferienjob. Noch dazu wurde ich ihm sozusagen als Chef vor die Nase gesetzt, denn er hätte sich, nachdem mein Vorgänger befördert worden war, doch erwartet, dass nun er an der Reihe gewesen wäre, diese Funktion zu bekleiden. Doch dass es anders kam, sollte seine Loyalität und vor allem Kollegialität nicht schmälern. In den ersten Wochen lernte ich eine Menge vom Handwerk durch ihn, und nachdem uns der Beruf im Grunde ja genauso viel Spaß machte, wurde die Bürozeit oft im nahe gelegenen Café Westend fortgesetzt, bis elf Uhr meistens, denn da musste ich mich sputen, wenn ich den letzten Pendler nach Tullnerbach noch erreichen wollte.
Aber wer tschechern kann, der kann auch arbeiten, und so verbrachten wir pro Woche mehr als einen Tag und einen Abend gemeinsam, plauderten naturgemäß über die gemeinsame Hacke, aber kamen einander auch menschlich näher. Er erzählte von seinen Eltern, seiner verstorbenen Mutter, seinem gescheiterten Vater, um den zu kümmern er sich als einziger Sohn eine bedeutende Aufgabe gemacht hatte. Er hatte seine Lehre in einem Buch- und Schallplattengeschäft in Meidling gemacht, im damals noch florierenden Musikfachhandel und erwarb dort auch eine enorme Kompetenz. Danach hatte es ihn zur polyGram verschlagen, wo auch wir einander kennen gelernt hatten. Beide betreuten wir die Abteilung für pecial imports, also nach unserem Verständnis sowieso die lässigste Abteilung des gesamten Unternehmens. Denn, abgesehen davon, dass auch wir unsere Umsatzzahlen erreichen mussten, war es das Jahr über auch angesagt, durch zunehmende Kenntnis und Ideenreichtum die Schätze im Repertoire des Musikkonzerns zu heben und mit ihnen eine anspruchsvolle Klientel zufrieden zu stellen. Im daily business wuchsen wir daher schon bald zu einem unschlagbaren Team zusammen, nur unterbrochen durch seinen Militärdienst. Doch nach diesem Intermezzo nahm er natürlich gerne seine Herausforderungen wieder an.
In der Zwischenzeit begannen wir, auch abseits von den geschäftlich zu vernichtenden Bieren, auch die Freizeit immer mehr zu gemeinsam zu verbringen. Musikalisch waren wir ja in vielem einer Meinung, dementsprechend gab es stets anregenden Gesprächsstoff, eingebunden in eine passende Gesellschaft. Durch ihn lernte ich etwa den mittlerweile auch schon in die Jahre kommenden Kurt Tozzler kennen, seines Zeichens journalistische Rockikone in der Kulturabteilung des ORF. Ich erinnere mich, dass wir sogar einen Sonntagsausflug mit den Frauen veranstalteten, in den Prater, und ich denke, auch Dagmar hatte auch damals nichts dagegen, uns zu begleiten. Im Schweizerhaus gaben wir uns der Stelze und einigen Budweisern hin, und die einzige, die unter dem Nachmittag litt, war möglicherweise seine Freundin, denn die hatte keine Chance im Latein der Plattenbrüder und -schwester auch nur ansatzweise mitzuhalten.
Nach den beiden innigen Jahren des Miteinander gingen wir getrennte Wege, ich wechselte den Job, Toni blieb seiner Firma treu. Die Gespräche wurden seltener, und bald verlor ich ihn komplett aus den Augen. Bis mich eines Tages Uschi Paul, auch wir kannten uns aus dieser Zeit, informierte, dass Toni überraschend verstorben sei. Während er gemütlich sein Bier und auch die Sonne auf dem Fensterbrett in seiner Wohnung im 4. Stockwerk des Hauses genoss, hätte er plötzlich das Gleichgewicht verloren und sei vom Sims gestürzt.
Was geblieben ist: Eine spontane Erinnerung, jedes Mal, wenn man an seinem Haus Ecke Reinprechtsdorfer Straße/Schönbrunner Straße vorbeifährt, ein Muskelkater, an den man sich, scheint’s, noch nach drei Jahrzehnten ebenso wehmütig wie gerne erinnert und jüngst zwei Tage, die man auf der Suche nach ihm sich nach ebenso langer Zeit gerne an ihn erinnert. Toni war ein wertvoller Zeitgenosse, aufrichtig, ein guter, ein gescheiter Mensch, einer, dem das Schicksal nicht das beschert hat, was ihm wohl zugestanden wäre.

Einen Makel hatte er aber doch: Hard Rock. Denn auch damit musste ich die gemeinsamen Arbeitstage verbringen. Doch wenn man bedenkt, was damals unter diesen Begriff fiel, bin ich schon wieder versöhnt und gönne sie ihm aus ganzem Herzen. So wie damals im Blauen Café.

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