Die Verwandlung

Hätte man mich vor ein paar Wochen aufgefordert, Georg zu charakterisieren, ich hätte ihn mit wenigen Worten auf einen hektischen Hans Dampf in allen Gassen reduziert. Stets war er, wie er meinte, am Puls der Zeit, dank seines Smartphones, von dem er keine Sekunde, so schien es, den Blick abwenden konnte, um auf Mails und Messages schnell und in time reagieren zu können. Die neuesten Fernsehserien auf Netflix und Konsorten gab es zwischendurch, indem man den Bildschirm quasi teilte um so noch mehr Informationen auf dem Display zu erhalten. Und wenn sich schon einmal das phone in seiner antiquierten, ursprünglichen Funktion mit einem beinahe klassischen Klingelton meldete, antwortete er nur kurz, denn Gespräche kosteten Zeit und Gelegenheit, sich in seiner virtuellen Umwelt auf dem Laufenden zu halten.

Wie real sie sich allerdings darstellen konnte, bewies sie ihm an jenem Tag, als sein Augenwinkel nicht das zum Stehenbleiben mahnende Rotlicht aufnahm. Georg betrat, seinen Blick stets züchtig und interessiert auf sein Display gerichtet, die Fahrbahn und wurde wenige Augenblicke später von einem Auto überfahren. Rettung, Notarzt, OP im Unfallkrankenhaus. Was folgte, war eine längere Phase der Rekonvaleszenz. Und Langeweile, Ungeduld, schwer noch zu ertragen als der Schmerz, der ihn die ersten Tage noch beherrschte, denn das Unvermögen, sein geliebtes Smartphone aufgrund der eingegipsten Arme nicht bedienen zu können, machte ihn noch mehr zu schaffen als das zur Kenntnis Nehmen seiner zahlreichen Verletzungen.

Was soll’s, schloss er mit der Zeit doch seinen Frieden mit der Welt. Der Kaffeeautomat, bester Freund neben seinem Zimmernachbarn, der ihn in die Geheimnisse des Schachspiels einweihte und der netten älteren Dame vom Zimmer vis à vis, die ihm den Gebrauch eines spannenden Buches näher brachte, war so schon bald eine beliebte Anlaufstelle für ihn. Öffnete sie ihm, hier in dieser Märchenwelt des Krankenhauses, doch nicht zuletzt auch sein Interesse für bislang Verborgenes. Sein Tagesablauf rund um Körperpflege, Visiten und seine Physiotherapie gaben ihm die Gelegenheit, die Zeit, seine Zeit neu zu entdecken und diese Erkenntnis für sich zu nutzen: für immer anregendere Gespräche mit seinen Gangnachbarn, für das Spiel der Könige oder für königliche Unterhaltung mit einem Tool, das er, wie gesagt, vor seinem Unfall kaum beachtet und daher nie gekannt hatte. Ein mobile namens book.

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