Das verdammte Manuskript

Vor einiger Zeit fiel es mir in die Hände, genauer gesagt, Andreas hatte es mir mit der Bitte zugesandt, es bei Gelegenheit zu lesen und ihm sodann mitzuteilen, was ich davon hielte. Andreas, Verleger für Les- und Sonderbares, der mich mit seinem Programm schon einige Male überraschte, genießt natürlich mein Vertrauen, mir auf diese Weise den einen oder anderen spannenden Nachmittag zu schenken. Letztes Wochenende verbrachte ich sozusagen einige Stunden in Paris, Venedig, zwischen den Zeilen und Zeiten, schlicht: einer packenden Geschichte.

Um es vorwegzunehmen, ich bin ja nicht erst seit dem da Vinci Code erklärter Liebhaber pseudohistorisch angehauchter Romane, die mich gleichermaßen der Alltagswelt entreißen, mich entführen und aufbrechen lassen, in unbekannte Welten einzutauchen, Welten, so weit entfernt von jeder Realität, dass ich mich für die Stunden, in denen ich mich gleichsam auf einer Reise befinde, am liebsten eine Urlaubskarte von meinen Erlebnissen schreiben würde. Nun, das versuche ich auch jetzt.

Wir befinden uns im Jahr 2081, Europa hat hat mittlerweile seine neue Ordnung gefunden, die mediterrane Allianz. Paris ist in dieser neuen Ordnung nicht nur Mittelpunkt eines neuen sich etablierenden kulturellen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses, sondern beherbergt auch ein Zentrum literarischen Archivierens und Forschens. Wir treffen auf einige Persönlichkeiten, die sich der Erfassung prädigitaler Textwerke widmen, Sammler, Spezialisten, Liebhaber alter und antiker Schriften, sich im Geruch und Flair von bedrucktem Papier, dem Aufstöbern von Raritäten, verschollen, scheinbar in Vergessenheit geraten, verlieren. Der Held ist ein solcher Charakter, ein langgedienter Archivar und findet besagtes verdammte Manuskript, an dem sich, es zu entziffern, schon Generationen von Kryptologen die Zähne ausgebissen hatten. Er versucht nun seinerseits, eines seiner großen Rätsel zu lösen. Während eines Kongresses trifft er auf Anna, die Inkarnation von ewiger Schönheit und grenzenloser Klug- und Weisheit, die ihn auch motiviert, vor allem mit den ihm bisher verwehrten Mitteln, seine Nachforschungen voranzutreiben. Die Reise führt ihn nach Venedig, dort trifft er auf kundige Helfer, treibt besessen seine Forschungen voran und kehrt schließlich nach Paris zurück, wo sich, unterstützt durch Anna und High Tech des voranschreitenden 21. Jahrhunderts, die Erkenntnisse, die weit vor unsere Zeitrechnung zurückreichen, endlich zur lang ersehnten Lösung führen lassen. Und schließlich erlebt er im Alter von doch schon 81 Jahren den wahrscheinlich letzten erotischen Höhepunkt seines Lebens, Zeit, Geschichte und die Welt umspannend.

Bis hier versuchte ich die geneigte Leserin, den geneigten Leser dafür zu begeistern, den Roman, sobald er in Buchform erschienen sein wird, zu kaufen, zu verschlingen und es den beiden, unserem Helden und Anna gleich zu tun und mit ihr den Augenblick in gemeinsamer Ewigkeit zu versinken.
Doch meine Aufgabe verstand ich auch darin, nicht nur fasziniert zu sein, sondern das Manuskript abzuklopfen, wo die Stärken und möglicherweise auch Schwächen liegen könnten. Abgesehen davon, dass noch einiges recherchiert gehört, was, meinen Kenntnissen zufolge, manche Örtlichkeiten in Paris ausmacht (Venedig vielleicht auch, aber da kenne ich mich nicht aus), ist es vor allem der Zeitrahmen, der mir im Handlungsablauf sehr schwammig vorkommt. Manchmal dachte ich, soweit in der Zukunft spielt sich die Handlung gar nicht ab, manchmal dachte ich nicht, so wie es im späteren Verlauf auch dezidiert gennant wurde, dass es 2081 war, sondern viele Jahre später. Aber das sind Kleinigkeiten, leicht zu beheben, wenn man mit der entsprechenden Sorgfalt vorgeht. Viel bedauerlicher erscheint mir, dass, natürlich geht es auch um die Historie der katholischen Kirche versus Liberalität und Freiheit in Glaubens- und Fragen der Weltordnung, gesellschaftlichen Historitäten lang vor unserer Zeit, bevor wir Menschen zu Monstern wurden, wie wir erfahren, dass darauf im Detail zu wenig Rücksicht genommen wurde. Viele Seiten des Romans beschränken sich auf Beschreibungen letztendlich banaler Erleb- und Erkenntnisse im Rahmen seiner investigativen Beschreibungen, die dem Helden widerfahren, eines pseudoreportierenden Autors, der hier oft den Eindruck erweckt, die magische Zahl der vorgegebenen Seitenzahl, trotz hervorragender Recherche in der nur für Eingeweihte faszinierenden Welt von Sprache, Schrift und ihren Bedeutungen zu erreichen.
Die Qualität der Heldin spart er allerdings aus, oder es gelingt ihm nicht, ihre Relevanz darzustellen, ihre das Werk bei weitem überspannende Bedeutung, denn ich wusste zwar nicht um ihre Rolle im Detail, jedoch ihre Allgegenwärtigkeit und möglicherweise Bedeutung, hat er meines Erachtens schon sehr früh, zu früh preisgegeben. Gut, einerseits spornte mich dieser kleine Einblick an, das Manuskript flott weiterzulesen, doch ihre Bedeutung wurde mir Seite für Seite mehr bewusst und bestätigte sich auch zunehmends.
Dann gibt es ein paar kaum dargestellte Handlungsstränge: Einerseits konstruiert der Autor einen Bösewicht, der, um als solcher glaubhaft realisiert werden zu können, zu wenig herausgearbeitet wird, andererseits bekommt die Kirche ihr obligates Fett ab, die das, wie hier dargestellt, aber gar nicht verdient hat und schließlich verkommt die Heldin, immerhin keine Geringere als Isis, der Darstellung des Autors nach die Urgöttin aller Zeiten, zur ewig jungen, obgleich leidenschaftlichen Frau, deren berechenbares Ziel es bloß ist, dieses, das ihre, zu erreichen und sie ihre ob ihrer ewigen Jugend auch ihre einschlägigen Qualitäten einsetzt, um zu erfahren, was sie ohnehin schon seit tausenden Jahren kennt: Das verdammte Manuskript.

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