Mutproben

Im Grunde bin ich hart im Nehmen. Unsere Hausärztin während meiner Kindertage meinte schon, dass ich die konsumierenden Chilischoten getrost gegen ein paar Stamperl Schwefelsäure hätte tauschen können. Grüne Zwetschgen, ebenso wie Äpfel im Frühsommer zählten zu meinen Leibgerichten, ich begeisterte mich für Essen mit Stäbchen bereits in den 70er Jahren (ordentlich scharf natürlich) ohne mir dabei die Augen auszustechen, Sushi verfiel ich heldenhaft, als sich die g’standene Wiener kulinarische Seele, wenn roh, dann mit dem Surspeck und höchstens dem Bieftratara anfreunden konnte.

Mountainbiken erfanden wir am Land, bei der Oma, am Hauptplatz, indem wir die Freitreppe von der Kirche zum Kirchenwirt sozusagen mit Vollgas nahmen. Im Kuhstall fanden zwischen den Beinen von Zenzi, Resi, Klarabella & Co. sich zu weißen Seeschlachten entwickelnde Gefechte statt, Mann gegen Mann, Zitze gegen Zitze, die Mutproben im Heustadl bestanden aus todesmutigen Sprüngen in die Niederungen seines Anhängers, nicht wissend, ob der Bauer die Fuhre Mist schon ihrer lebensspendenden Aufgabe zukommen hatte lassen und somit aufs Feld geführt hatte. Und darin, inmitten des Winterfutters den ersten Frühling zu erleben und sie der schönen Tochter des Bauern einen zaghaften Kuss entlocken zu können.

Schöne Bauerstöchter haben es, wie es schönen Töchtern grundsätzlich eigen ist, schön. Denn es gibt in der Regel noch mehr begehrende Söhne, die um ihre Gunst buhlen und, je nach historischen und geografischen Gegebenheiten, so ziemlich zu allem imstande sind, nur um das Wohlwollen ihrer Prinzessin zu erlangen. Erinnern wir uns etwa an unsere vorgeschichtlichen Ahnen, die, mir nichts, dir nichts, Herden, Rudel und Meuten von bepelztem Getier erlegten, um nicht zuletzt die Angebeteten mit sie wärmender Kleidung zu versorgen. Wenn auch die überlieferten pränuptalen Sitten und Gebräuche nach heutigen Gesichtspunkten archaisch anmuten, so brachte der Galan mit Pelz, Fleisch und Knochen damit doch Rohstoffe nach Hause, die von flinker Frauenhand zu Couture, Cuisine und, jawohl, dem Kochlöffel veredelt wurden. Ich denke, so war es: Am Anfang war der Kochlöffel, und dann kam ihr Wort. Der Rest ist Geschichte.

Auch daran erinnern wir uns: Jahrtausende später, aber vergleichsweise doch nur einen Augenblick von uns entfernt, entwickelte sich unter der Alphaschar beherzter Hünen die Sitte, sich in eigens errichteten Arenen Arterien und Venen aufzuschlitzen, einander die Knochen zu brechen und darauf zu hoffen, als einziger Held und Sieger aus dem Zweikampf zumindest noch mit eigenerer Kraft herausfinden zu können. Dem Sieger winkte dann ein Taschentuch aus der Hand des Objektes unerfüllter Begierde.

Exkurs: Hier möchte ich anmerken, dass aufgrund pathologischer Phänomene zu etwa dieser Zeit möglicherweise zwei Errungenschaften die weitere Geschichte in Kunst, Kultur und unrechtmäßigem Besitzerwerb ihren Ursprung zu haben scheinen.
Der Minnedienst: Später als Softies bezeichnete Männer entsagten dem Hünengang, übten sich im Minnesang, eroberten zwar nicht das Taschentuch der Prinzessin, aber immerhin ihre Kemenate.
Dietrich: Ihn und seine Erfindung datiert die Historie etwa um die Epoche der Erfindung der Kreuzzüge. Wir erinnern uns: Die Überlebenden der Hahnenkämpfe rotteten sich zusammen, um andernorts sozusagen das Zubehör zu Taschentuch und Schlafzimmerblick zu gewinnen, zogen gegen Osten (eine Sitte, die sich bis in unsere Tage erhalten hat) und hofften auf schnelles Glück und Zufriedenstellung ihrer im Gottgehorsam nicht statthaften Gelüste.

So dürfen wir uns, tausend Jahre danach, heute noch daran erinnern, dass Dietrich, Schmied, Schlosser und Goldschmied, kunstsinniger Zeitgenosse und selbst wohl auch dem Gesang nicht abhold, Mittel und wohl auch den Weg fand, den Lohn des Minnesängers in den Zeiten sozialhormoneller Ungerechtigkeit zu ermöglichen.

Auch sonst lehrt uns die Geschichte, dass die Vorfahren der Bauerstöchter gut um ihr Handwerk Bescheid wussten. Denken wir etwa an die Schöne mit der göttlichen Nase, die gleich zwei Aspiranten auf das Weltreich gegeneinander antreten ließ, denken wir an die Gailtalerin, die Legionen von ihr verfallenen Bauernburschen am Berg ihr Leben lassen ließ. Und denken wir an mich: Ostern am Attersee 19xx. Wetter fein. Frühling kommt. Meteorologisch. Und so. Am Gründonnerstag war es um mich geschehen: Engelsgleich erschien sie mir. Einfach schön! Abgrundtiefe grüne Augen, ganz Attersee, gertenschlank, dunkelbraune Haarpracht, von einer der Forelle gleichenden Eleganz, ganz Attersee eben, ein Hoffnung spendendes Nicken, ein erstes Abtasten (mit den Augen), ein zaghaftes Plaudern im Strandcafé, die Vereinbarung eines Treffens am Karfreitag. Glück. Freudige Erwartung des Freitags, freudige Erwartung der Auferstehung vor der Zeit.

Es wird gelacht am Freitag, der Wiener Schmäh scheint sich mit dem Charme der oberösterreichischen Nixe zu vereinen, Blicke treffen sich, auch die Hände finden zueinander. Man rückt näher, man beschließt, die Promenade entlang zu schlendern, auf den Spuren von Gustav Klimt und seinen Musen.

Exkurs: Nun muss man sagen, der Vorteil in Seewalchen und seiner Strandpromenade, was das Baden betrifft, liegt nicht zuletzt auch darin, dass man da überall seine Badehose anziehen, sein Badetuch in der Wiese platzieren und sich spontan im stets kühlen Wasser des Sees erfrischen und erquicken kann.

„Bei uns am Attersee ist es so, dass die Badesaison zu Ostern beginnt,“ belehrt mich die Nixe und entledigt sich ihrer Kleider. Aller Kleider. Und springt ins Wasser. Sie schwimmt weit hinaus. Kaum, dass ich ihren Kopf, der vermeintlich zur Größe einer Stecknadel schrumpft, erkennen kann, der dann, als sie sich wieder dem Ufer nähert, wieder zur Krönung der Nixenpracht heranwächst. Sie entsteigt „ihrem“ Attersee, schmiegt sich an mich, trocknet an mir ihren Nixenkörper, bekleidet sich wieder und schaut mich mit festem Blick an …

Viele Jahre sind mittlerweile ins Land gegangen, seit dem Karfreitag 19xx.
Heute ist Wohnungsputz angesagt. Ich erwarte charmanten Besuch. Das Menü steht fest, der Wein, der Lauf des Abends hoffentlich auch.

Nur eines trennt mich von meinem Glück: Staubsaugen. Diese Pflicht erinnert mich an damals. Wenn du zu Ostern in den Attersee springst, dann denkst du im ersten Moment, du stirbst, aber nach einiger Zeit merkst du, es wird nicht besser.

Veröffentlicht am 18.12.2014