Mozart Rocks

Kürzlich verlangte man von mir, Popmusik deutscher Zunge zu definieren, wohl mit dem Hintergedanken, dass sich Helene Fischer und Konsorten zur Zeit die Allmacht über dieses Genre erkämpft hatten und diese wohl auch nicht allzu leicht abgeben würden. Doch weit gefehlt: Die Vielfalt, die heute die Bühnen, Plattenläden und Downloadplattformen regiert, darf auf eine ebenso vielfältige Historie wie Kollegenschaft blicken. music illustrated hat sich umgehört.

Was die Deutschen und die Österreicher hauptsächlich voneinander unterscheidet, ist ihre gemeinsame Sprache. Dieser Klassiker trifft wohl auch für den Pop zu, denn nehmen wir einmal die beiden Deutschen her, die sich die Österreicher, besser die Wiener, eingemeindet haben, Ludwig van Beethoven, den gebürtigen Bonner und Wolfgang Amadeus Mozart, der eigentlich (Salzburg zählte zu seiner Zeit dazu) ein Bayer war, dürfen heute noch als Wegbereiter populärer Kompositionen gelten, und zig Generationen halten den beiden auch heute noch die musikalische Treue. Doch dann trat möglicherweise preußisches Zack-Zack nördlich des Weißwurstäquators in den Vordergrund, denn die Couplés von Johann Nestroy, die in Wien nicht nur die Spatzen von den Dächern pfiffen, vermisst man dort weitgehend.

Doch wollen wir nicht zu streng sein: ein neues Jahrhundert brach an und damit wohl auch, besonders nach den grauenhaften Ereignissen, die es gleich zu Beginn mitgebracht hatte, ein neues Lebensgefühl. Pop Goes The World, und die Comedian Harmonists lehrten auch bereits in den frühen 30er Jahren nicht nur hierzulande, sondern auch jenseits des so genannten großen Teichs die Harmonien des damals jungen deutschen Schlagers, bis sie und ihre Zeitgenossen gleich selbst dorthin emigrieren mussten und für viele Jahre ein schmerzliches Loch hinterließen.

Aber dann war es zum Glück in Europa vorbei mit der Schreckensherrschaft, der Wunsch nach einem wieder sorgenfreieren Leben wurde gerne gehört, der Wiederaufbau, das folgende Wirtschaftswunder und die bald aufkeimende Sehnsucht nach romantischen Sonnenuntergängen, die romantischen Urlaube, am besten in Italien. Wer erinnert sich bei der Gelegenheit nicht an Rudi Schurickes „Capri Fischer“ oder Peter Alexander und Caterina Valentes „Komm ein bisschen mit nach Italien“? Eben.

Doch das war er noch nicht, der Urknall zeitgenössischer Popmusik. Der kam auch für die deutschsprachigen Lande aus Amerika, als ein gewisser Elvis Presley mit seinem (damals noch) anstößigen Hüftschwung eine sich sorgenden Elterngeneration in Angst und Schrecken versetzte. Das schaffte auch Peter Kraus und später die ersten Beatniks in Hamburg, die ihren Vorbildern aus England und den USA gekonnt paroli boten. Wer erinnert sich noch an die Lords, die Rattles? Auch an die Jahre, wo der Begriff des Liedermachers geprägt wurde, Franz-Josef Degenhardt, Hannes Wader legten es politisch-engagiert an, sein langes Leben begleitet mittlerweile Reinhard Mey musikalisch, bis letztendlich auch Nicole, die, bewaffnet mit ihrer Gitarre und „Ein bisschen Frieden“ 1982 sogar den Eurovision Song Contest für Deutschland gewinnen konnte. Das schaffte einige Jahre zuvor allerdings auch der Kärntner Udo Jürgens mit „Merci Cherie“ 1966, der gemeinsam mit Peter Alexander eher dem leichten Genre zugetan war, bevor hier das Markenzeichen für den österreichischen Pop, den Austropop erfunden wurde. Damals entdeckte der Chançonnier, Kabarettist und Lokalbetreiber Gerhard Bronner die junge Sängerin Marianne Mendt, schrieb ihr mit „Die Glock’n“ den Hit auf den Leib, mit dem sie noch heute assoziiert wird und der als Geburtshelfer für dieses Genre gilt. Das Charakteristikum des Austropos ist der Dialekt: Dieser eroberte nicht nur sein Heimatland, sondern auch die Nachbarn im Norden. Auf die Frage, warum diese den österreichischen Dialekt so schätzen, kann ich die Antwort „vielleicht denken sie dabei an ihren Urlaub im kommenden Jahr“ eigentlich ganz gut nachvollziehen. Marianne sollten viele folgen, die in diesem Sprachraum reüssieren konnten. Wir denken etwa an Wolfgang Ambros, die verstorbenen Georg Ganzer und Ludwig Hirsch, die Steirer STS und viel später an Ostbahn Kurti oder aber auch an Hubert von Goisern, aber das ist schon bald wieder eine andere Geschichte, denn dafür erfand man den Begriff „Alpenrock“.

In Deutschland fand einstweilen mit Udo Lindenberg eine schillernde Figur ihren Platz zwischen Pop und Underground, den man seit „Alles klar auf der Andrea Doria“ aus der farbenprächtigen Palette deutschsprachigen Musikschaffens nun schon über Jahrzehnte nicht wegdenken kann, und vor allem nicht will.

Wir nähern uns den modernen Zeiten, wir düsen mit DÖF im Sauseschritt: Elektronik fand Eingang in die Hitparaden, erinnern wir uns etwas an die Wegbereiter Kraftwerk auch als Impulsgeber für den späteren Techno und den Synthie Pop. Genauso krachte es aber auch auf der, sagen wir, analogen Seite, denn auch der Punk machte vor deutschsprachigen Grenzen, und die gab es, nicht zuletzt manifestiert durch Menschen trennende Mauern, noch. Das war auch die Geburtsstunde der Toten Hosen, die anfangs noch durch ihre faschistische Ästhetik während ihrer Auftritte für heftige Diskussionen sorgten, aber um nichts weniger auch internationale Erfolge feiern durften. Erinnern wir uns, bevor wir deren Nachfolger streifen, auch an Die Ärzte oder Nina Hagen, ihre exzentrische Bühnenauftritte und an ihr gerne zur Schau gestelltes sexuelles Detailwissen im TV, das vor allem die Österreicher im Gedächtnis behielten.

Der Sprachraum behielt aber auch die Neue deutsche Welle im Gedächtnis, denn die so genannte Hamburger Schule ritt schon Jahre zuvor avantgardistisch die Pferde, die im ausgehenden Jahrtausend die Bahn frei machten für eine Vielfalt, die es bislang noch nicht gegeben hatte: War jenseits des Schlagers mehr oder weniger Englisch Pflicht um zu reüssieren, hielt nun die deutsche Sprache endgültig Einzug in die Popwelt. Gruppen wie DAF, Fehlfrarben, allen voran Nena, bzw. Minisex oder natürlich Falco, der mit seiner No.1 Platzierung in den US-amerikanischen Charts mit „Rock Me Amadeus“ österreichische Musikgeschichte schrieb, zementierten die deutsche Sprache endgültig in den Hörgewohnheiten ihrer Fans.

Heute denken Künstlerinnen und Künstler, Produzenten und vor allem das Publikum darüber nicht mehr nach. Deutscher Hip Hop existiert mit den Fantastischen Vier neben deutschem Gangsta Rap, den etwa Bushido oder Sido verkörpern, und für den deutschen Soul zeichnen Xavier Naidoo oder Joy Denalane verantwortlich. Auch der deutsche Reggae hat mit Peter Fox Einzug gehalten, so wie sich zeitgenössische Musikliebhaber nicht daran stoßen, wenn die Idee stimmt, auch gerne mit ehemals undenkbaren Genres auseinanderzusetzen: wie zum Beispiel mit LaBrassBanda. Sie verkörpern bayrische Blasmusik mit Esprit, wie ihre Kollegen aus Österreich, die neuen Österreicher, wie man sie mittlerweile nennt: Wanda, Bilderbuch, Seiler und Speer, die gerne Anleihen nehmen und genug Innovation mitbringen, um die Hörgewohnheiten ihrer Fangemeinden heute und auch in Zukunft zu begeistern.

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