Billard

Im Grunde ist es unser Spiel. Er, zwar kein Weltmeister, ich allerdings die Unschuld vom Land. So war es eigentlich auch immer, seit wir uns entschlossen hatten, auf seinen Wunsch, uns am grünen Tisch zu matchen, Und das geht zumeist zu seinen Gunsten aus.

David, im Beisein zum Beispiel seiner Eltern, firmiert oft als stiller Zeitgenosse. Selten entlockt man ihm Worte der Zustimmung oder Ablehnung, je nachdem, vor allem natürlich während eines aktuellen Gesprächs. Ich meine ja, ihn längst durchschaut zu haben, denn wenn es dann darauf ankommt, entpuppt er sich als exzellenter Beobachter und Zuhörer, auf sein Stichwort wartend, um die Dauerquatscher dann zum geeigneten Zeitpunkt in die Bahnen zu weisen.

Demnach spielt sich der Anmarsch zum und vor dem Spiel diesen Regeln gemäß ab. Wolfi plaudert, spricht mehr oder weniger an- und ausdauernd, David schweigt. Oder gibt sich höchstens einsilbrig. Der Weg führt uns immer von der Herminengasse durch den Donaukanal ins Köö. Das haben wir vor zirka 20 Jahren, der geneigte Leser, die geneigte Leserin wissen davon, erstmals besucht, weil von ihm der Wunsch geäußert wurde, dieser Sportart seine erste Leidenschaft zu schenken. Kaum höher als der Tisch, erkundete er damals Geographie, Vermessung und Nutzung seines soeben entdeckten Kontinents und machte ihn sich Untertan. Ich gebe zu, ich habe seinerzeit die Schule zu selten geschwänzt, um mir in den umliegenden Kaffeehäusern eine gewisse Virtuosität anzueignen, doch David war sein diesbezügliches Talent sozusagen in die Wiege gelegt.Vielleicht hat mir mein Vater oder Dagmar der ihre einiges verschwiegen, jedenfalls nahm ich seine Leichtigkeit im Umgang mit Queue und Kugeln mit Begeisterung zur Kenntnis. Und begann bald, die Kämpfe, die wir meist am Freitagnachmittag ausfochten, mit schöner Regelmäßigkeit zu verlieren.
Auch heute begaben wir uns wieder wortlos in die Arena, schweigend, höchstens einsilbrig. Alles wie gehabt, allerdings hatten wir schon lange nicht mehr gespielt, also war ich gespannt, was die Stunde bringen würde. Ich erinnere mich, wir hatten uns damals, als Queue, Kugel und Schlachtfeld noch ganz oben in der wöchentlichen Prioritätenliste standen, eigenes Werkzeug besorgt. Mit diesem ausgestattet, begann auch heute das Match. Die Kellnerin nahm die Bestellung auf, die blaue Kreide bereitete die Queues auf ihre Arbeit vor, und plötzlich blitzten Davids Augen. Ein neuer, bislang unbekannter Mensch war geboren. Blitzschnell überflog er sein Reich, seine Vasallen, die ungeschickte Eröffnung seines Gegners, um dann zwei (mindestens) Kugeln in die dafür vorgesehenen Löcher zu zu versenken.
Zu den Spielregeln, zumindest ansatzweise: Das Spiel besteht aus so genannten voll eingefärbten Kugeln, und, nur mit einem farbigen Streifen versehenen, einer schwarzen und einer weißen. Mit der weißen versucht man, die für den Spieler gedachten Kugeln in die vorhandenen Löcher zu schießen, die schwarze ist tabu, solange sich noch andere auf dem Terrain befinden. Sieger ist, wer zuerst seine und zuletzt die schwarze Kugel in ein Loch befördert.
Also, wenn ich eröffne, erreicht sicher keine Kugel irgendein Loch, was aber für den weiteren Spielverlauf vorentscheidend ist. Denn die Sorte, die du als erstes einlochst, bestimmt den weiteren Spielverlauf. David erledigt das seine in der Regel, ohne dass ich großartig etwas zu tun hätte, außer dabei zuzusehen. Ist ihm eine von meinem im Weg, hebt er die weiße Kugel gekonnt darüber und locht die seine bravourös ein. Dabei blickt er scheinbar gleichgültig wo auch immer hin, aber ich weiß, wenn sich ein Blick an unseren Tisch verirrt, dann ist ihm die Anerkennung für seine Leistung sicher. Manchmal komme ich auch ins Spiel, wenn ihm zufällig ein Plan nicht so gelingt, wie er ihn sich ausgedacht hat. Das dauert aber nur kurz, und ich kreide in der Zwischenzeit Queue und manchmal auch mich selbst weiter ein.

Das geht seit zwei Jahrzehnten so, Kenner hatten ihm einst beschieden, dass er ein großes Talent wäre, er beweist es sich und seiner Umwelt, und ich füge mich daher meinem Schicksal. Nur heute nicht: Heute habe ich ausnahmsweise zwei Partien gewonnen.

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