Round Midnight

Ich musste den Kragen meines Trenchcoats hochschlagen, damit die schweren Regentropfen nicht an meinen Hals und dann abwärts gelangen konnten. Schwer hatte ich es in jener Nacht ohnehin: sie waren mir abhanden gekommen, die leichten Gedanken, und was ich an diesem Abend mit mir herumschleppen musste, dass wollte ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind zumuten. Durst.

Ja, wie wir wissen, haben auch Männer Gefühle. Eh klar, aber wer spricht schon darüber. Also beschloss ich, der Tragödie ein Ende zu setzen und lenkte meine Schritte zielstrebig der Taverne an der Ecke des Blocks entgegen. Brendl … klingt nach Feuerbrigade, und die hatte ich auch nötig. Ein ganzer Löschzug sollte es sein, und er sollte Brand und Wüstenei ein Ende setzen. Schnell. Effizient. Eiskalt. Peter schien mich schon erwartet zu haben, denn wortlos schenkte er einen Herzhaften von der rabiaten Rebe ein, spritzte flink Soda darüber und rockte darauf einen Berg Eis. Ja, so hatte ich es gerne. Während ich den ersten fast gierigen Schluck nahm, wusste Peter schon, dass er getrost den zweiten Grönländer vorbereiten konnte. Zu heftig hatte mich die Trockenheit der Betonwüste ausgedörrt, als dass ich noch länger warten konnte. Ich sagte ja schon, ich musste die Sache hinter mich bringen, und zwar schnell. Die Eiswürfel klirrten noch im ersten Glas, das ich soeben geleert hatte, als sich der Nachfolger in Form des zischenden Eisbergs zum Zwitschern eingefunden hatte. „Danke Peter,“ twitterte ich meinerseits dem Barmann hinüber, und er verstand. Cool wie mein Summersprizz on the Rocks, erwiderte er meinen Blick, und wir verstanden uns. Ich sagte ja schon: Auch Männer haben Gefühle.

Mann, das hatte mir gerade noch gefehlt! You know, ich stehe da an der Bar, die beredte Unterhaltung begann gerade in ihren schweigsamen Lauf dem gleichsam titanischen Untergang entgegenzufiebern, da erschien sie.

SIE!

Ihr kurzer Gruß kam einer Kernspaltung gleich … zweifellos war sie eine Prinzessin … Ölprinzessin … Kernöl … Wie lange hatte ich diesen prämediterranen Teint ethnischer Ausdruckskraft, noch dazu verpackt in dieser glockenhellen Stimme, nicht mehr gehört! Wo die vergangenen Monate geprägt waren vom harten Zungenschlag der Eingeborenen ob der Enns, wo du denkst, sie ertränken dich in der schäumenden Gischt des großen Stroms. Ganz anders nächst der Mur. Hier vermengen sich der Duft von Schilcher („Schülcher“)  und Steirerbrau zu einem wohl duftenden Frühlingsstrauß der Leidenschaften … wenn man nur daran ganz fest daran glaubt.

Gut. Nun war sie einmal da, und es musste gehandelt werden. Ich war froh, dass Peters Reaktion so schnell war, somit konnte ich fürs erste einmal mit dem dritten Eisberg kollidieren. Blöd nur, dass er zu schmelzen schien, was war bloß in ihn gefahren? So wandte ich den Blick vom Nightrock und ritt mit meinen Augen dem Sonnenaufgang entgegen. Denn sie war gerade aufgegangen, die Sonne, obwohl ich mir noch nicht sicher war: Sah ich die Sterne einer klaren, warmen Sommernacht? Oder ging sie tatsächlich auf, jetzt, knapp vor Mitternacht, die ich mehr üblicher Weise als mich umhüllenden Nebel in Erinnerung hatte. Wenn überhaupt.

Mann ohne Gedächtnis.   Allerdings brauchte ich jetzt dringend Gedächtnis. Konnte ich mich denn noch daran erinnern, wie es damals war, als prämediterraner Charme meine Seele umgarnte? Die Mitternachtssonne wie der Nordwind das Eis des G’spritzten zum Schmelzen bringen konnte? Hallo! Gedächtnis! Sprich zu mir! Schnell! Schnehell! Einen kurzen Moment dachte ich, es hätte mich endgültig verlassen

Aber einsam hin, Wolf her, im Grunde hat man die Situation doch immer im Griff, nicht wahr?   Ich wusste nun, was ich zu tun hatte. Ich drehte meinen Kopf nicht ohne Bedacht, langsam, souverän, fast cooler als das geschmolzene Eis im Glas, zu ihr hin, blickte ihr ebenso in die Augen (diese Augen!) … und sprach, was gesprochen werden musste: „Grxmpfzpfzt.“

Veröffentlicht am 30.10.2013