Tramway fahren

Der Tag begann vielversprechend: Es war ein beinahe sommerlicher Frühlingsmorgen, der mich anspornte, mich nicht nur von von Bett, sondern nach getaner Morgenpflege sogar vom Frühstückstisch zu trennen, um dem Leben mit einem freundlichen Lacher zu begegnen. Der Weg sollte mich vorerst einmal in die City führen. Sogar der Ausblick auf den Frohndienst konnte meiner guten Laune nichts anhaben, denn ich würde ihn ohnehin kurz halten.

Heute hatte ich vor, auf die Trambahn, die ich üblicherweise wählte, zu verzichten und den Sonnenschein zu genießen, den Lenz aufzusaugen und beide in meinem Herzen wollkommen zu heißen.

Aber da war er auch schon, der 2er Wagen, und so erklomm ich flink den Wagon, stellte mich brav in der Mitte auf, auf den Sitzplatz verzichtend, denn nach der guten Kinderstube, die mir das Platz Nehmen im öffentlichen Verkehr verboten hatte, mutierte die Einstellung dahingehend, den Habitus des galanten und sportgestählten ewigen Jüngling diskret zu Schau zu stellen.

So auch der charmanten Blondine, die in der nächsten Station zustieg und sich kess vis à vis, mich freundlich anlächelnd, positionierte. Diese Augen! Sicher blau! Und das Lächeln, das sie mir wohl schenkte, ließen mich augenblicklich den romantischen Abend am Palmenstrand assoziieren. Die Sonne war gerade untergegangen, wir blieben im großzügigen Garten der Taverne, nachdem wir uns an einer üppigen Komposition von Meeresfrüchten genüsslich getan hatten, noch auf ein Glas Rotwein, die Wellen rauschten von gar nicht so weit her. Irgendwo, in einer der Nebengassen des Städtchens, gleich hinter dem alten Hafen, spielte die Gitarre, und Romeo sang dazu schmachtend eine Weise für seine Julia …

Gerade als ich allen meinen Mut zusammen nahm, meine Lippen schürzte, schon beinahe ihre Hand fasste, atmete auch meine Prinzessin des Frühlings tief ein, sah mit festem Blick in meine Augen und sprach: „Fahrscheinkontrolle …“

Veröffentlicht am 9.06.2014