Sebastian

Ich liebe das Frühstück am Sonntag mit meiner Familie. Meiner Frau, Christine, die mir, dem IT-Mann, der es mittlerweile geschafft hat, bis ganz nach obern aufzusteigen, verdanke ich viel. Sie hatte damals zwar ihr Kunststudium noch beendet, aber schon den ersten Job als Kuratorin wollte sie dann nicht annehmen. Mir zuliebe, wie sie sagte, obwohl ihr von allen Seiten eingeräumt wurde, dass sie ihren Weg schon machen würde, denn neben ihrer hervorragenden Ausbildung stand vor allem das Quäntchen G’spür und die Einschätzung für ihr übertragende Aufgaben im Zentrum ihrer Qualitäten.
Wie auch immer, ich gab ihr auch den Freiraum andernorts kreativ zu wirken. Der Garten, welcher unser Haus umgab, avancierte im Bekanntenkreis und in er Nachbarschaft schon bald zu einer Galerie im Sonnenschein, ganz so, wie das Interieur unserer Wohnräume, denen sie mit der Kraft ihrer Persönlichkeit, ihrem Ideenreichtum und wohl auch ihrem Talent, Sinnliches für jedermann nachvollziehbar zu inszenieren, begegnete, machten mich richtig stolz. So etwas musste man erst einmal zusammenbringen: Mein Einfluss im internationalen Konzern bis in die Zentrale nach Boston, das Haus, der Garten, ja auch die Kinder, die mir Christine geschenkt hat, sind wohlgeraten, richtige Alpha-Biester, die für ihre Mutter schon die eine oder andere Herausforderung darstellen. Aber damit muss wohl sie zurechtkommen, ich habe dafür eher weniger Zeit, auf mich wartet ein praller Terminkalender rund um die Welt.
Christine sieht das naturgemäß nicht so. Sie meint, dass eine Ehe eine Lebensgemeinschaft sei und nicht bloß eine Begegnung am Wochenende, wo man einander flüchtig zu erkennen gibt, das in der Nacht noch durch mechanisch abgearbeitete Pflicht von mir aus noch unterstreicht, aber schon beim Frühstück am nächsten Morgen die Emotionen sich im Nörgeln über die nicht eingekaufte Marillenkonfitüre erschöpfen. Wann wir zum letzten Mal im Theater, im klassischen Konzert oder gar in der Oper gewesen wären, hat sie mich vorwurfsvoll gefragt und hinter ihrem makellos geschminkten Gesicht machte sich trotzig der Widerstand breit, den ich schon lange an ihr zu bemerken meine.
Ganz anders ist da Mireille, die ich kürzlich am Flughafen Orly kennen gelernt hatte. Wow, eine ferne Göttin könnte mich nicht mehr verzaubern als Mireille! Beine, schlank, nicht enden wollend, Kurven die mich glatt 24 Stunden wie Le Mans aus der Bahn werfen könnten, Augen, geheimnisvoll wie vielversprechende Nächte und ein Mund, der mich selbstbewusst zum Tanz aufforderte. Le Mans … auch Mireille konnte mich nicht aus der Bahn werfen, aber mich mehrmals pro Woche zu einem Umweg überreden. Nizza statt Neusiedl sozusagen. Fleurop statt Veilchen, Schampus statt heiße Schoko. Mireille, wie könnte es anders sein, war auch die Königin sämtlicher Laufstege zwischen Mailand und Madrid. Was für ein Leben nach einem anstrengenden Tag zwischen den Kontinenten, was für ein schöner, kleiner Tod, wenn man, nach der Party ermattet, neben ihr einschlief, nicht ohne zuvor den letzten Beweis des Tages für meine schier unendliche Kraft erbracht zu haben.
Gestern kam ich etwas früher aus London zurück. Einmal pro Woche die Familie sehen, doch, doch, auf das freute ich mich wirklich! Die Kinder, ach was, Kinder, die fangen auch schon an, ihr Leben zu leben, sind ausgeflogen, der Garten, soviel konnte ich erkennen, ungewohnt ungepflegt, und auch das Interieur vermisste die häusliche Obsorge, die ich durch so viele Jahre gewohnt war. Im Gegenteil: Im Garten stand der Rasenmäher, zwar zur Arbeit bereit, aber gleich einem Gärtner, der sich schnell eine Pause gönnt und wohl gleich wieder zur Arbeit zurück kehren würde, ebenso das Teegeschirr auf dem Tisch der Terrasse, einen anregenden Nachmittagsplausch im Sommer begleitend.
Als ich das Haus betrat, begegnete mir dieser Mensch. Sein nackter Oberkörper war über und über tätowiert, die Haare lang und ungepflegt – oder auch nur zerrauft, als ob jemand in ihnen begeistert gewühlt hätte, und der Duft, den er verströmte, erinnerte mehr an Dior als an das Dickicht im Garten. Er lächelte mir freundlich zu und begrüßte mich charmant. Er würde sich um den Garten kümmern, meinte er und sah die Stiegen hoch, dorthin, wo Christine soeben herabstieg. Sie sah hinreißend aus. Zum Anbeissen.
„Das ist Sebastian,“ meinte sie, mich freundlich anblickend. „Ich habe im Februar wieder an der Angewandten inskribiert. Sebastian und ich bereiten uns für eine gemeinsame Projektarbeit vor.“ Die vermeindliche Freundlichkeit aus ihren Augen war plötzlich verschwunden.

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