Die Leiden des überwutzelten W.

Heute ist es soweit. Mein monatelanger Wegbegleiter wird sich morgen von mir fürs erste einmal verabschieden und möge bei der Gelegenheit auch etwas Einblick in das mich ebenfalls seit  Jahrzehnten begleitende Phänomen der gelebten Prokrastination geben. Sein Name ist Gerhard Rühm, ja der berühmte, und der Anlass unserer gemeinsamen Wanderschaft: Das Verfassen der Subventionsansuchen für dessen geplante aus drei CDs und einem aufwändigem Booklet bestehende CD-Box.

In der Tat beschäftigt er, respektive das Projekt, schon beinahe seit einem Jahr, als mich Wolfgang Lamprecht im vergangenem März überzeugte, bei den mir bekannten Förderstellen anzufragen, besser gesagt, anzusuchen, ob dieses Projekts auch mit den erforderlichen finanziellen Mitteln ausgestattet würde. Ich sagte gerne zu, denn Geld kann man ja immer gut gebrauchen, und die Welt des Gerhard Rühm, bzw. mich mit dieser aus gegebenem Anlass näher zu beschäftigten, fand auch spontan mein Interesse. Das Vorhaben umzusetzen, so dachte ich damals, würde ich wohl ratz-fatz erledigt haben, doch weit gefehlt. Erst war es die allgemein im Team herrschende Gemütlichkeit, denn als bindender Termin der Fertigstellung dieser Produktion kristallisierte sich ja erst der 4. Oktober 2017 heraus, Rühm selbst, mittlerweile 87-jährig und in Köln beheimatet und schlecht erreichbar (er hat kein E-Mail und ist noch immer sehr reiselustig), ließen den abzuhakenden Punkt in meinem Kalender zusehends altern.
Aber, wie gesagt, es geht nichts über den letzten Moment, und der scheint jetzt einzutreten. Der 2. März gilt als der Tag der Tage, für den der österreichische Musikfonds seinen nächsten Call angesetzt hat, den Termin, an dem die Ansuchen einlangen müssen (Poststempel). Grundsätzlich war ich ja eh brav mit meiner Terminplanung, hatte mir für das Wochenende auch nichts Anderes vorgenommen, das mit von meiner Arbeit hätte abhalten können, aber Richard Winter, in dessen Namen ich mir das Ganze antue und der mir, ehe ich mir die Ärmel aufkrempeln wollte und noch geplant hatte, ihn zu einem informativen Gespräch zu treffen, lag natürlich bis gestern mit Grippe im Bett. Nicht dass ich mich über die geschenkten zwei Tage nicht gefreut hätte, aber dass der Stress somit vorprogrammiert war, das konnte ich spontan nicht leugnen.
Aber ich ging es ganz cool an, wie immer, freute mich auf das Familienessen mit der Familie, das ich anlässlich meines Geburtstages am Sonntag veranstaltete, genoss den gemütlichen Nachmittag mit der Mischpoche und widmete mich am Abend auch den wirklich wichtigen Themen des Lebens. Edith Piaf zum Beispiel, die ich auf irgendeinen TV-Sender anschaute. Und „no, je ne regrette rien“, auch der Montag ist noch ein Tag, an dem man, wie er es ja stets verheißt, Unbill bringen kann (man beachte das Wortspiel für Eingeweihte: Piaf schafft Unbill, hahaha). Und gestern (wir schreiben bereits den Dienstag) gab Richard noch einmal W.O., denn er beliebte, noch einen Tag zu Hause zu bleiben und das Bett zu hüten. Stattdessen sollte sich Su, seine langjährige Mitarbeiterin, zur Verfügung stellen, sie kenne sich sowieso bestens aus. Ich rief sie daher an und stattete ihr auf mein Drängen sogleich einen Besuch ab, wo sich herausstellte, dass sie und auch ihr Kollege, der Hans, nur peripher  eine Ahnung von dem Projekt hatten, ich mir also den Weg beinahe hätten sparen können. Allerdings konnte ich die Truppe wenigstens für die Sache sensibilisieren, damit sie nicht überrascht wären, wenn ich sie jetzt, zumindest am Telefon, öfters kontaktierte.
Zu allem Überdruss, man möge mir nicht nachsagen, dass die lange Bank noch immer Gebot der Stunde war, ging es mir aufgrund der Kalorien und vor allem der Auswahl der Speisen eigentlich auch nicht gut. Das lag möglicherweise an der Malakofftorte, die ich sonntags beinahe allein verdrückt hatte, an den Wiener Zuckerl, meine zweite Todsünde, was das Naschen betrifft und, ich gebe es zu, am Schampus und vielleicht am Wein, die den Nachmittag begleiteten. Nach der Leberkässemmel beim Radatz am Nachmittag und den letzten verzweifelten Versuchen, salbungsvolle Worte für das Projekt zu finden, tauschte ich Hemd, Pullover und Hose gegen den Schlafanzug und schlief, unterstützt durch die Faschings-Millionenshow, ein. Bis heute in der Früh durchaus abenteuerlich gestaltete sich die Nacht, in der, ich kann mich an die vielen Träume zwar gar mehr erinnern, der Verdauungstrakt, wie ich bemerken durfte, seine Arbeit ganz vorzüglich erledigte.
Gut, aber jetzt wird es Zeit, das Talent und den konsequenten Zwang zu Prokrastination, einblicksweise darszustellen, beziehungsweise den Stress, denn man am letzten Abdrücker wohl hat: Heute wäre Literatur- und Schreibstunde auf dem Programm gestanden, Dada, wie ich mittlerweile erfahren hatte, also ein durchaus zum Faschingsdienstag passendes Thema. Den Vormittag spritzte ich natürlich, weil, jetzt gleich nach dem Aufstehen, wird’s angegangen!
Die Angst, den Termin nicht halten zu können, weil mir noch nichts einfiel, ich kein Konzept hatte, war zu dem Zeitpunkt schon grenzenlos und beherrschte mein gesamtes Dasein.
Allerdings nicht die Pflichterfüllung, sondern das Café Einfahrt waren es, wo Kipferl und Kaffe auf mich warteten. Später dann der Peek & Kloppenburg, denn dort musste ich ja unbedingt mein Polo-Shirt gegen ein schmuckes Hemd umtauschen, bis mich das katscheli fand, mein Büro, wo ich mich endlich dem Tagwerk widmen sollte …
Prosa ist mittlerweile erledigt, jetzt wartet Sisyphos auf mich, die Kalkulation. Nicht dass du glauben musst, es ginge bei Förderansuchen um sachliche Argumentation. Das ist eine Märchenstunde für angehende Poeten, bei der Phantasie gefragt ist! Wirklich! Im Grunde schätze ich die Form der Kreativität auch sehr, der Wermutstropfen ist  nur, dass, ganz wie in der Buchhaltung, am Ende eine Null herauskommen muss. Und, das ist die wahre Kunst dieses Genres: Schreib so schön, wie du dir den Künstler nur vorstellen willst (was bei einem alten, sagen wir, eigentümlichen Zeitgenossen auch wieder ein gerüttelt Maß an Phantasie erfordert), gieße das in gelogene, aber stichhaltige Zahlen, und dann steigt die Chance, dafür Geld, echtes Geld, zu lukrieren, ins Unermessliche. Probiert, gelungen und macht, wenn man, so wie ich, etwas sonderbar ist, durchaus Spaß.

So, jetzt habe ich mir meine Welt für die nächste Stunden schöngeredet, bin schon beinahe überzeugt von ihren Qualitäten, werde mich jetzt noch dem Kochen widmen (heute beginnt die Epoche des Kurkuma, aber davon ein anderes Mal), aber dann geht’s ab ins das finale grande!

Wünschet mir ein Gutes Gelingen,

Euer Wolfi

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